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Die unsichtbare Pyramide

Titel: Die unsichtbare Pyramide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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die Schamröte ins Gesicht stieg. »Das wisst Ihr?«
    »Verzeiht, wenn es Euch als Indiskretion erscheint, aber Euer Brief hat nicht nur Dwina Mut gemacht, sondern auch uns. Deshalb las sie ihn uns vor. Eure Gefährtin ist sehr tapfer, junger Empfänger. Ihr und ihrem Wissen über das Schwarze Heer verdanken wir viele glorreiche Siege über die Eindringlinge. Mologs Soldaten trauen sich nur noch in größeren Einheiten in die Stadt. Die meisten Männer sind auf zwei Orte verteilt: die Britannische Bibliothek und Saint Dryden’s Temple.«
    Trevir horchte auf. »Ein Tempel? Das ist nicht zufällig das Gebäude mit der halb eingestürzten Kuppel?«
    »Doch.«
    »Dann hat mich mein Instinkt also nicht betrogen. Dort will Molog das Triversum zusammenketten. Kannst du mich zu Saint Dryden’s Temple führen?«
    »Sicher kann ich das. Sollen wir gleich aufbrechen?«
    »Bald, Ceobba. Solange ich mich müde und ausgelaugt fühle, wird es Wulf hoffentlich ähnlich gehen. Ich muss diese Phase der Schwäche ausnutzen, um etwas Dringendes zu erledigen.«
    Das Baddaoberhaupt lächelte wissend, fragte aber trotzdem: »Und das wäre?«
    Trevir legte ihm die Hand auf die Schulter. »Ich muss Dwina um Verzeihung bitten.«
    »Und wenn sie Euch vergibt?«
    »Kommt drauf an.«
    »Worauf?«
    »Ob Ihr auf die Schnelle jemanden auftreiben könnt, der für uns eine Trauung vollzieht?«
     
     
    Zögernd näherte sich Trevir der Tür zu Dwinas Gemächern. Davor blieb er stehen und grübelte. Was sollte er ihr sagen? Welche Worte waren wohl die richtigen? Wie würde sie reagieren? Schließlich nahm er all seinen Mut zusammen und klopfte.
    »Herein«, ertönte von drinnen Dwinas Stimme.
    Trevir hob den Riegel, öffnete vorsichtig die Tür und trat ein.
    Dwina bewohnte inzwischen eine andere Zimmerflucht, deren Hauptraum früher als kleinerer Speisesaal gedient hatte. Die Decken hier waren höher und man konnte aufrecht stehen. Auf dem hellen, spiegelblanken Steinfußboden lagen dicke Teppiche. Die sonstige Einrichtung bestand aus einem Mehrsegmentbett, wie Trevir es schon kannte, einigen Stühlen und Sesseln, einem Tisch, zwei Kleiderschränken, drei Kommoden sowie etlichen Lampen, die ein honigfarbenes, für Oberirdische erkleckliches Licht verbreiteten.
    Als sich Trevirs und Dwinas Blicke trafen, entstand eine Stille, die dem Moment nach einem Blitzeinschlag ähnelte, wenn einem am Körper sämtliche Härchen zu Berge standen und man das Gefühl hatte, schon beim Versuch, einen Grashalm oder einen Stein zu berühren, müssten Funken überspringen. Dwina stand vor dem rechteckigen Tisch, auf dem unter einer bizarr geformten Steinlampe eine Reihe von Papieren ausgebreitet lagen. Der Mund des Mädchens war halb geöffnet und sie hätte ebenso gut in Bernstein eingeschlossen sein können, so starr wirkte sie.
    »Ich habe mein Versprechen gehalten«, sagte Trevir aus dem Bedürfnis heraus, das Schweigen zu beenden.
    Dwina blieb in ihrem Bernsteinpanzer: reglos und stumm.
    »Nun bin ich wieder hier«, fügte Trevir unnötigerweise hinzu.
    Endlich sprengte das Mädchen die Mauer des Schweigens. Einen Moment lang schien es so, als wolle sie vornüberfallen, aber dann lief sie auf Trevir zu, übergab sich seinen ausgebreiteten Armen und begann ihn mit ihren Fäusten zu schlagen.
    »Du Schmierenkommödiant, Steuereintreiber, Strolch, Tagelöhner, Totengräber!«, zählte sie eine Reihe von Namen auf, die sie für hinreichend erbärmlich hielt, um ihre außer Rand und Band geratenen Gefühle auszudrücken, »Bettler, Büttel, Hungerleider, Henkersknecht, Holdrio« – nun rollten Tränen über ihre Wangen und das Trommeln auf Trevirs Brust wurde schwächer –, »Schuft, Spund, Starrkopf, du großer… dummer… lieber Kerl.« Die Schläge hatten aufgehört. Dwinas Wange lag an Trevirs Brust und sie schluchzte: »Wie konntest du mir das antun? Einfach wegzulaufen. Ohne mich mitzunehmen. Hast du überhaupt einen Moment darüber nachgedacht, wie ich mich fühle?«
    »Jeden Tag, mein Lämmchen.«
    Sie sah ihn kurz an, barg ihre Wange aber gleich wieder an seiner Brust. »Ich bin doch kein Schaf!«
    »Weiß Gott nicht! Nein, Schatz. Aber durch das Lämmchen bist du – ich weiß, das klingt für dich vielleicht albern – irgendwie schon bei mir gewesen, bevor ich dich überhaupt kannte. Stell dir vor, ich habe mich für die wollige kleine Dwina sogar in große Gefahr begeben! Und dann kamst du und nanntest mir deinen Namen, ausgerechnet diesen Namen –

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