Die unsichtbare Pyramide
als wären wir schon immer füreinander bestimmt gewesen. Für dich würde ich mein Leben immer und immer wieder riskieren. Außerdem finde ich es ganz normal, wenn Liebende sich Kosenamen geben.« Während Trevir sanft zu Dwina sprach, streichelte er ihren Rücken und ließ ihr Zeit, ihre Gefühle zu ordnen. Gegen seine Erklärung erhob sie keine Einwände.
Unvermittelt stellte sie sich auf die Zehenspitzen, um ihm etwas ins Ohr zu flüstern. Doch dann zögerte sie.
»Alles in Ordnung?«, fragte er.
»Was ist das?« Dwinas Stimme ließ sein Trommelfell erbeben.
Sie löste sich aus seiner Umarmung und hielt ihm ihre Hand vors Gesicht. Am Zeigefinger baumelte ein kleines schwarzes Pelzbündel mit großen Ohren und ledrigen Flügeln.
»Ich würde sagen, eine Fledermaus«, gab Trevir grinsend zurück. Seine Erleichterung war unüberhörbar. Dwina hätte ja auch vor Ekel aufschreien können, stattdessen fasste sie den kleinen Flattermann sogar an. Ihre Antwort klang jedoch verstimmt.
»Das sehe ich auch. Wo hast du dich rumgetrieben, dass du solches Ungeziefer mit dir herumschleppst?«
»Orrik ist mein Freund.«
»Orrik?«
»Der Fledermäuserich.« Trevir deutete auf selbigen.
Dwina hielt sich Orrik vor die Nase. »Der Zwerg ist ein Männchen?«
»Keine Ahnung, aber wäre es dir lieber, wenn ich mir zum Zeitvertreib ein Weibchen angeschafft hätte?«
»Du bist unmöglich!« Sie hängte die Fledermaus kurzerhand an die Tischlampe.
Trevir nahm Dwina wieder in den Arm. »Ich weiß.«
»Was ist das Harte da an deiner Brust?«
»Muskeln. Das Leben in der freien Natur hat mich gestählt.«
»Lügner.« Sie klopfte mit den Knöcheln gegen besagte Stelle, die dem Geräusch nach eine Tür hätte sein können. »Ich kenne mich mit Muskelverhärtungen aus. Das ist keine.«
Trevir seufzte theatralisch. »Also gut. Ich bin entlarvt. Du hast Abacucks Schatz entdeckt.«
»Das Buch der Balance? Du trägst es mit dir herum? Wenn Ceobba das spitzkriegt, wird er einen Herzanfall erleiden.«
»Solange ich nicht weiß, wo mich das Schicksal im nächsten Augenblick hinverschlägt, will ich es bei mir haben.«
Dwina sah ihm geradewegs in die Augen. »Du willst wieder fortgehen, nicht wahr?«
»Viel lieber würde ich hier bei dir und unseren Freunden bleiben, aber das wäre zu gefährlich. Sobald Wulf die fünfte Welle verkraftet hat, wird er wieder nach mir suchen.«
»Dann komme ich mit.« Dwina schob ihm ihr Kinn entgegen. Sie rechnete offenbar mit Widerspruch.
»Ich habe lange darüber nachgedacht.«
»Komm mir nicht mit Ausflüchten.«
»Und ich bin zu einer Entscheidung gekommen.«
»Männer glauben immer, sie müssten alles allein regeln, weil sie das einzige Geschlecht sind, das über ein Gehirn verfügt.«
»Aber dazu brauche ich deine Einwilligung.«
»Die Antwort lautet Nein.«
»Du hast doch noch gar nicht die Frage gehört.«
»Um dein Gewissen zu beruhigen, willst du doch von mir hören, dass du mich ruhig bis zur nächsten Welle allein lassen kannst.«
»Eigentlich nicht. Ich wollte mich nur erkundigen, ob du mich vielleicht heiraten möchtest.«
Dwinas Unterkiefer sank herab, die wasserblauen Augen wurden groß und ihre roten Lippen fingen an zu zittern. »D-du meinst…?«
Er nickte. »Ich habe das Alleinsein satt. Ich könnte mir kein anderes Geschöpf vorstellen, mit dem ich lieber in die Wildnis fliehen würde – abgesehen von Orrik natürlich.«
Für diese Frechheit bekam er noch einmal Dwinas Faust zu spüren. »Du bist eben doch ein Halunke. Mein Halunke. Mein großer, lieber, kuscheliger, streng riechender, bärtiger, ungezieferverseuchter Halunke.«
»Ich gelobe mich zu waschen und zu rasieren. Wie also lautet deine Antwort?«
»Das fragst du noch? Ja, Trevir!«
»Molog und Wulf werden mich jagen. Es könnte gefährlich für uns werden.«
»Ich habe während deiner Abwesenheit eine Reihe von Feldzügen gegen das Schwarze Heer angeführt und weiß, was Gefahr bedeutet. Nichts kann mich mehr von meiner Liebe zu dir trennen, Trevir.«
Erleichtert drückte er das Mädchen wieder an sich. »Du ahnst ja nicht, wie froh ich über deine Antwort bin!«
Es handelte sich gewissermaßen um eine Nothochzeit. Kaum zwei Stunden, nachdem Dwina ihrem »Halunken« das Jawort gegeben hatte, standen die beiden schon zwischen Ceobba und etwa einhundert Badda, die überstürzt in den Palast geeilt waren. In seiner Eigenschaft als Priester vollzog das Oberhaupt der Unterlondinorer die
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