Die unsichtbare Pyramide
werden, und dieser Festtag lag erst wenige Wochen zurück. Diese Mordbande war auf Geheiß von Ibah-Ahiti ausgerückt, so viel stand für Gisa fest. Und die Kaltblütigkeit, mit der Monotep dieses Todesurteil an einem unschuldigen Kind zu vollstrecken beabsichtigte, erfüllte sie mit einer brennenden Wut.
Gerade wollte der erste Leibgardist seinen Fuß auf die Insel setzen, als sich Gisas ganzer Zorn entlud. Sie stieß ihre abwehrend geöffnete Linke in die Höhe und rief: »Halt!«
Die Stimme klang so gebieterisch, dass die Soldaten prompt innehielten.
»Hört nicht auf sie und schnappt sie euch!«, schrie der Kommandant.
»Du!«, brodelte es wie glühende Magma aus Gisas Kehle hervor, während sie ihren ausgestreckten Zeigefinger auf ihn herabsinken ließ. »Du, Monotep, sollst verflucht sein für diesen Frevel! Du und deine Söhne bis in die dritte Generation! Und ihr alle ebenso, wenn ihr dieses Verbrechen zulasst.« Mit diesen Worten vollzog sie eine Drehung um ihre eigene Achse.
Tatsächlich überlegten in diesem Moment etliche Soldaten, ob Gisa nicht doch die Fleisch gewordene Isis war und ihr nur als Leinenbündel erkennbares Kind der falkenköpfige Horus. Der Kommandant wollte derlei Spekulationen gerade mit einem weiteren Befehl wegwischen, als etwas Überraschendes geschah. Die blaue Wolke verwandelte sich in ein blendendes Licht. Gleichzeitig dehnte es sich aus. Während Gisa sich noch drehte, wurden die Leibgardisten wie Strohpuppen gegen die Wände der Kammer geschleudert.
Kurz darauf kehrte Ruhe ein. Abgesehen von der Mutter, stand in der Kammer allein Wira noch auf ihren Füßen. Jetzt fiel sie jedoch freiwillig auf die Knie und legte die Handflächen aneinander. »Heilige Isis!«, stieß sie hervor. »Ich habe Euch nicht erkannt. Bitte verzeiht…«
»Hörst du gefälligst auf!«, fuhr Gisa empört dazwischen. Sie schwankte vor Erschöpfung und musste sich gegen den Sarkophag stützen. »Ich bin ein Mensch wie du, Wira. Was da eben geschehen ist – ich kann es mir auch nicht erklären. Allein mein Zorn scheint diese Männer weggefegt zu haben.« Ihr Blick wanderte zu dem Kind herab, das sich in ihrem Arm regte. »Oder bist du das gewesen?« Der Knabe sah sie aus überraschend klaren, blauen Augen an, was ihr wie eine Antwort erschien. Sie hauchte: »Ja, so muss es sein! Auch das Licht…«
»Da kommt jemand!«, unterbrach Wira.
Gisa hielt den Atem an. »O nein! Ich bin zu schwach, um noch so eine Situation durchzustehen.«
Beide starrten auf den Eingang, in dem jetzt – Hobnaj erschien. Der Nubier stürmte wie ein wilder Stier in die Kammer des Wissens. Er sah nicht mehr schwarz, sondern eher grau aus: über und über mit Staub bedeckt. Außerdem blutete er aus mehreren kleinen Wunden.
»Herrin, Ihr lebt!«, keuchte er.
Gisa gab einen freudigen Laut von sich. »Nein, du lebst, mein treuer Hobnaj! Ich hatte schon alle Hoffnung verloren.«
Der Hüne ließ staunend seinen Blick über die reglosen Kämpfer in der Kammer schweifen. »Habt Ihr das getan? Sind sie alle tot?«
»Hoffentlich nicht. Zwar habe ich es mir eben noch gewünscht, aber jetzt… Ich glaube, der Knabe hat das bewirkt. Oder die Kraft, die von seinem blauen Licht ausgeht. Ich kann es mir selbst nicht erklären.«
Hobnaj sprang ins Wasser und durchwatete das nur knietiefe Bassin. Entgegen seiner sonstigen Zurückhaltung schloss er Gisa und das Kind in die Arme und drückte dann auch Wiras Hand. »Als ich vor der Kammer Adits toten Körper sah, wäre ich selbst am liebsten gestorben. Und nun finde ich euch drei lebend vor. Der Schöpfer sei gepriesen!«
Gisa zeigte ihm stolz das Neugeborene. Der von Wira gewickelte »Kokon« besaß an der Vorderseite eine Öffnung, aus der Kopf, Schultern und Ärmchen des schlafenden Winzlings herausragten. Hobnaj kürte ihn spontan zum »schönsten Jungen von Anx«.
Während der Nubier noch das Kind bewunderte und Wira bereits mit der Säuberung seiner Wunden beschäftigt war, strich Gisa sanft über seine staubige Schulter. Sie schüttelte ungläubig den Kopf. »Wie konntest du allein mit Schwert und Dolch gegen die Leibgardisten bestehen?«
Hobnaj grinste. »Fällt Euch an mir nichts auf?«
Gisa betrachtete ihn genauer. »Das Halsband! Der Bund ist weg.«
»Ich habe ihn abgerissen und in einen Tunnel geworfen. Die Überlebenden dort dürften immer noch im Schutt wühlen.«
»Etwa einfach aufgebogen?« Gisas Hand legte sich auf den eigenen goldenen Reif. »Aber ich dachte, die
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