Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die unsichtbare Pyramide

Titel: Die unsichtbare Pyramide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
Vom Netzwerk:
Explosion.
     
     
    Gisa und Wira standen neben dem Sarkophag auf der Insel und hielten sich gegenseitig fest. Zwischen ihnen klemmte ein von Leben erfülltes Leinenbündel, das die verängstigten Frauen in blaues Licht tauchte.
    Die Geräusche aus dem Gang vor der Kammer des Wissens wurden immer bedrohlicher. Zuerst hatten sie eine ferne Explosion gehört. Und jetzt zerriss ein Todesschrei ihre letzte Hoffnung auf Rettung.
    »Adit!«, keuchte Gisa und klammerte sich noch fester an die Hebamme. Der zaghafte kleine Koch – Hobnajs »letzte Bastion gegen den Feind« – war über sich selbst hinausgewachsen und hatte sein Leben für Herrin und Kind geopfert. Dann muss auch mein treuer Freund tot sein, dachte Gisa von ihrem Leibwächter und schauderte. Schon erschienen die ersten schwarzen Mündungen von Lichtkanonen am Eingang der Kammer. Ihnen folgten Köpfe, die unter sandfarbenen Helmen und hinter scheinbar undurchsichtigen Visieren steckten.
    »Vergesst nicht: Ihr betretet ein Nationalheiligtum! Es darf nur im Notfall geschossen werden«, schnarrte eine Stimme, deren Besitzer vorerst unsichtbar blieb.
    Geradezu gespenstisch leise huschten die Elitekämpfer in den Raum. Die beiden Frauen konnten nichts weiter tun, als den Leibgardisten dabei zuzusehen, wie sie ringsherum Stellung bezogen. Das Einsatzgebiet wurde über Funk als »gesichert« gemeldet. Helmlampen flammten auf. Dann verfielen die Kämpfer in eine bedrohlich wirkende Reglosigkeit.
    Nun trat der Kommandeur auf den Plan, ein stiernackiger Kämpfer ohne Nachtsichtvisier, aber mit schweißnassem Gesicht. Er stolzierte bis zum Rand des Beckens und bellte: »Kommandant Monotep von der Leibgarde des Großen Hauses. Und Ihr dürftet die ›Blume vom Nil‹ und ihr Blag sein – genau, wie uns angekündigt wurde. Wer ist die andere Frau? Eine Eurer Dienerinnen?«
    Gisa ahnte, worauf diese Frage hinauslief, und erwiderte rasch: »Nein, sie gehört zum Hofstaat und genießt die Protektion des Pharaos.«
    »Wenn sie Euch begleitet, ist sie eine Verräterin.«
    »Ihr seid nicht ermächtigt, darüber zu entscheiden. Wenn Ihr sie tötet, könnte es Euch den Kopf kosten, Kommandant.«
    Das stimmte. Monotep gab seinen Männern einen Wink. »Rüber mit euch. Die Frauen festnehmen, das Kind auf den Basalttisch legen!«
    In die statuenhaften Gestalten kehrte Leben zurück. Stiefel tauchten in das Wasserbassin. Derweil bellte der Kommandant den Frauen einen weiteren Befehl zu. »Schaltet endlich dieses lächerliche blaue Licht ab!«
    »Das kann ich nicht«, erwiderte Gisa.
    »Was soll das heißen?«, knurrte Monotep.
    Sie löste sich von ihrer Hebamme und legte schützend die linke Hand um den Kopf des Kindes an ihrer Brust. »Der Glanz geht von dem Knaben aus. Ihr müsst meinen Sohn schon selbst bitten, seine Aura abzulegen.«
    Die hartgesottenen Elitekämpfer verharrten mitten im Schritt. Auf ihren Gesichtern lag Entsetzen.
    »Isis und der Horus-Knabe!«, hauchte jemand, der hinter Gisa stand. Tatsächlich ähnelte der Anblick der Mutter mit dem an ihrer Brust liegenden Kind auf erstaunliche Weise den vielen Heiligenbildern, die in ganz Baqat verehrt wurden. Hinzu kam der übernatürlich anmutende Schein.
    »D-das… das ist irgendein Trick, nicht wahr?«, stotterte Monotep.
    »Habt Ihr je, außer vielleicht im Lichtspielhaus, eine solche Illusion gesehen?«, entgegnete Gisa. »Ihr seid hier Zeuge von etwas Einzigartigem, etwas Heiligem und tut gut daran, die in dem Knaben wohnenden Kräfte nicht herauszufordern. Lasst uns in Frieden ziehen, Kommandant, und es wird Euch nichts geschehen.«
    Monotep war sekundenlang sprachlos. Sein Gesicht wirkte wie eine Maske – sah man einmal von dem Schweißtropfen ab, der sich von seinem Kinn löste und ins Bassin fiel, wo er kleine Wellenringe verursachte. Schon glaubte Gisa, einen Sieg errungen zu haben, als der Wankelmut des Militärs doch zur verkehrten Seite kippte.
    »Ihr kennt die Befehle, Männer. Führt sie endlich aus!«, donnerte er.
    Zögernd rückten die Leibgardisten weiter auf die Insel vor.
    Wira stand einfach reglos da. Sie hatte sich wohl schon in ihr Schicksal ergeben. Aber Gisa wollte es nicht, konnte es nicht, durfte es nicht. Auch sie hatte den Befehl gehört: Das Kind auf den Basalttisch legen! Das klang nach einer Hinrichtung. Es spielte kaum eine Rolle, ob sie ihn gleich ermorden oder hier verhungern lassen würden – offiziell durfte die Kammer des Wissens nur einmal im Jahr vom Hohepriester betreten

Weitere Kostenlose Bücher