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Die unsichtbare Pyramide

Titel: Die unsichtbare Pyramide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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erleichtert worden war, verblüffte ihn. Fast schien es so, als habe der Dieb vorausgeahnt, wann Francisco das Geldstück hochwerfen würde. Vor Schreck rutschte ihm die Zeitschrift unter dem Arm hervor und fiel zu Boden. In dem vergeblichen Bemühen, sie aufzufangen, schwenkte seine schwere Tasche herum und er geriet ins Taumeln. Dabei stieß er gegen den weißhaarigen Münzenfänger, der seinerseits ein Magazin fallen ließ – zufällig dieselbe Ausgabe von Time.
    »Bitte entschuldigen Sie«, sagte Francisco auf Englisch, bückte sich rasch, hob beide Zeitschriften auf und reichte eine seinem Vordermann.
    Der Fremde mochte um die fünfzig sein, schwer zu schätzen. Aus einem schmalen Gesicht blickten blaue Augen streng, aber nicht unfreundlich auf den ungeschickten Jüngling herab. »Ich muss um Vergebung bitten, aber der Klang Ihrer Münze hat mich irritiert. Hier, bitte sehr.« Er hielt dem Besitzer das Acht-Real-Stück hin.
    Der nahm schweigend sein Eigentum zurück und bedankte sich mit einem Nicken. Also doch kein Dieb, dachte er. Von irgendwoher glaubte er den Fremden zu kennen. Vielleicht eine Berühmtheit? Der Aussprache nach zu urteilen kam er aus England, dem alles andere als konservativen hellen Sommeranzug nach jedoch eher aus den Vereinigten Staaten. Francisco überwand seine Scheu und sagte mit einem versöhnlichen Lächeln: »Nach so einer Flugreise liegen die Nerven blank. Mir geht es ähnlich.«
    Jetzt entspannte sich auch die Miene des Reisenden. Irgendwie erinnerte er Francisco an einen großen, alten Wolf. »Es ist weniger der Flug von New York, der mir in den Knochen steckt, als vielmehr eine alte Erinnerung. Mein bester Freund hat wie Sie eben immer mit einer Münze gespielt.«
    »Das klingt so, als hätte er damit aufgehört.«
    »Ja, sein Spiel wurde von einer deutschen Kugel beendet. Nick hat den Großen Krieg nicht überlebt.«
    »O Gott! Das tut mir Leid.«
    »Schon gut. Ich bewahre die Münze übrigens immer noch auf, bis ich jemanden finde… Aber das ist eine andere Geschichte. Wie steht es mit Ihnen? Ist Ihr Silbertaler auch ein Erinnerungsstück?«
    »Ja, jemand hat ihn mir geschenkt – damit ich nie vergesse, wie man sich irren kann.«
    »Das klingt bedeutungsvoll. Und jetzt sind Sie im Zweifel, welches der richtige Weg für Sie ist.«
    Francisco lachte schrill. »Wie kommen Sie darauf?«
    Der Fremde sah ihn durchdringend an. »Es ist mein Beruf, Leute zu durchschauen.«
    »So?« Francisco begann zu schwitzen. Die blauen Augen des Weißkopfes schienen ihn regelrecht zu durchleuchten. »Sind Sie etwa Seelendoktor?«
    Ein Lachen, ein Kopfschütteln, dann die Erklärung. »Nein. Obwohl mich manche dafür halten. Ich gehöre der schreibenden Zunft an. In dem Magazin, das wir da mit uns herumtragen, sind eine Menge Artikel von mir erschienen.« Er reichte seinem Gegenüber die Hand und fügte leiser hinzu: »Mein Name ist Pratt. David Pratt. Und Sie sind…?«
    »Francisco Serafin«, murmelte der Gefragte wie in Trance. Gerade wurde ihm bewusst, wen er da vor sich hatte. Plötzlich begann er hektisch an den Reißverschlüssen seiner Reisetasche zu zerren und zugleich wie ein Wasserfall zu reden. »Mit Ihren Artikeln habe ich Englisch gelernt, Mr Pratt. In der Klosterbibliothek von La Rábida gibt es mehrere komplette Jahrgänge ihres Magazins, die noch aus den Dreißigern stammen. Ich habe sie alle studiert. Ihre Interviews mit Mussolini und Hitler – Sie haben nie ein Blatt vor den Mund genommen. Ich bewundere Sie.« Endlich hatte er einen Kugelschreiber gefunden, den er dem Journalisten samt Time Magazine entgegenstreckte. »Kann ich bitte ein Autogramm haben?«
    »Von einem Reporter? Na, meinetwegen.« Während David Pratt sich noch auf der Zeitschrift verewigte, sagte er: »Sie sind ein außergewöhnlicher junger Mann, Senor Serafin.«
    »Danke.«
    David Pratt reichte die Zeitschrift zurück. »Nein, was ich sagen wollte, ist: Sie sind ein außergewöhnlicher junger Mann.«
    Wieder fühlte Francisco sich von den blauen Augen des anderen durchleuchtet. »D-danke für das Autogramm«, stammelte er.
    »Sie haben also auch einen weiten Flug hinter sich?«
    »Ja, ich komme aus Peking.«
    »Liegt nicht gerade um die Ecke. Und jetzt hadern Sie mit sich, wohin es als Nächstes gehen soll.«
    »Woher wissen Sie…?«
    »Ist mein Beruf.«
    »Natürlich. Nun, mein Bruder – er geht gerade da vorne durch die Passkontrolle – er will mich nach Kairo schleppen.«
    »Zu den Pyramiden von

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