Die unsichtbare Pyramide
Giseh? Ist doch nicht schlecht.«
»Ja, aber…« Francisco hob die Schultern. »Ach, ich weiß auch nicht.«
»Ob Sie es wirklich wollen, meinen Sie?«
Francisco nickte.
»Darf ich Ihnen einen Rat geben?«
»Ich würde mir nie anmaßen, Mr Pratt, Ihnen…«
»Schon gut. Wenn ich Ihre Gemütslage richtig beurteile, dann wollen Sie nach Ägypten reisen, aber da gibt es etwas, das Ihnen unangenehm aufstößt oder Ihnen Sorgen macht.«
»Können das alle Reporter?«, fragte Francisco unbehaglich.
Pratt lächelte. »Nur ein paar. Also passen Sie auf… Nein, ich wollte sagen: Passen Sie auf. Was Ihnen Magendrücken bereitet, muss einen Grund haben. Den dürfen sie nicht einfach ignorieren. Vielleicht hängt Ihre Zukunft davon ab. Aber reisen Sie nach Kairo, denn das ist es, was Sie sich im tiefsten Herzen wünschen, weil Sie hoffen, dort eine Antwort zu finden. Die dazu passende Frage kennen nur Sie selbst.«
»Danke«, hauchte Francisco. Die Art, wie dieser Pratt seine Seele einfach umgestülpt hatte, kam ihm ein wenig unheimlich vor. Ehe er noch etwas sagen konnte, machte sich der Beamte der Passkontrolle durch ein lautes Räuspern bemerkbar.
David Pratt nickte seinem Hintermann freundlich zu und sagte: »Gute Reise. Und geben Sie auf sich Acht.« Dann drehte er sich um und wurde erstaunlich schnell von den Kontrolleuren durchgelassen.
Erst als der Reporter aus Franciscos Augen verschwunden war, senkte er den Blick auf das Umschlagblatt des Magazins. Und stutzte. War das ein Scherz? Oder konnte der altgediente Journalist seine zahlreichen Pseudonyme selbst nicht mehr überblicken? Die Unterschrift auf der Zeitschrift identifizierte ihn jedenfalls nicht als den Interviewkönig Pratt, sondern als – David Camden!
Vom Flughafen Charles de Gaulle ging es nonstop nach Kairo. Vicente hatte sich am Abend zuvor ein wenig über die stille Nachdenklichkeit seines Bruders gewundert. Nichts war mehr zu spüren von Franciscos heftiger Ablehnung, an der das Unternehmen gerade noch zu scheitern drohte. Nun landeten sie unter einer heißen Julisonne am östlichen Nilufer.
Sie bezogen Quartier im zentral gelegenen Hotel Le Meridien Cairo, weil sie, wie Vicente leichthin erklärte, zunächst »einige behördliche Hürden nehmen« müssten, bevor die Suche nach der Kammer des Wissens beginnen könne. Seine Strategie hierzu sei vergleichsweise einfach. Bei einer früheren Forschungsreise zu den weltberühmten Pyramiden habe er einen gewissen Doktor Paki Helwan kennen gelernt. Sie beide seien vom selben Fach und praktisch dicke Freunde, betonte Vicente. Der angesehene Gelehrte stehe dem Obersten Rat für ägyptische Altertümer vor und – was für ihr Vorhaben erheblich wichtiger sei – er beaufsichtige die Ausgrabungen in Giseh. Wenn der gute Paki der Kampagne zustimme, dann werde auch der Minister nicken, versicherte Franciscos Bruder.
Das Treffen fand im Kulturministerium statt, in dessen Obersten Rat für Kultur der ägyptische Archäologe Helwan ebenfalls einen Sitz hatte. Selbiger befand sich, symbolisch gesprochen, in einem bescheidenen Büro im dritten Stock des ehrwürdigen Baus. Vicente und Francisco wurden bereits nach zwei Stunden zu dem viel beschäftigten Wissenschaftler vorgelassen.
Helwan war in dem schmalen Zimmer nicht sofort zu entdecken, weil es mit dichtem blauem Dunst gefüllt war. Offenbar rauchte der Archäologe gern. Erst beim Nähertreten auf knarrenden Dielen tauchte seine Gestalt zusammen mit einem altersschwachen Schreibtisch aus den Schwaden auf. Helwan war ein stämmiger Mann mit dunklen Augenbrauen und kurzem, krausem, grau meliertem Haar. Er trug ein knallrotes Hemd, schwarze Hosen und wirkte angespannt. Francisco schätzte ihn auf Ende vierzig. Er fragte sich, als er die Begrüßung des Archäologen vernahm, ob er die Sache mit dem »dicken Freund« falsch verstanden hatte.
»Senor Alvarez, Sie schon wieder!« Helwan sprach ein gut verständliches Englisch. Er warf die knubbeligen Hände in die Luft und stöhnte.
Vicente versprühte spanischen Charme. »Ich freue mich auch, Sie wiederzusehen, Doktorchen. Sie sehen gut aus.«
»Ach was! Ich kriege bald einen Herzinfarkt.«
»Sie doch nicht!« Vicente warf den Kopf in den Nacken und lachte. Er war inzwischen bis zum Schreibtisch vorgedrungen. Nun warf er Anker. Nachdem er den Ausgrabungsleiter von Giseh mit Handschlag begrüßt, seinen »kleinen Bruder« vorgestellt und sich einfach hingesetzt hatte, fragte er mitfühlend: »Wer
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