Die unsichtbare Pyramide
ärgert Sie denn diesmal? Will der Louvre Napoleons Diebesgut immer noch nicht rausrücken?«
Helwan machte eine wegwerfende Geste. Er kniff ein Auge zusammen, weil in seinem Mundwinkel eine Zigarette qualmte und ihm der Rauch über das Gesicht strich. »Wenn es nur das wäre! Nein, irgendjemand verbreitet das Gerücht, die Juden hätten unsere Pyramiden gebaut. Können Sie sich das vorstellen? Unsere großen, alten, genialen Pyramiden!«
Vicente merkte, dass er von seinem ägyptischen Kollegen gerade auf ein sehr dünnes Eis gezogen wurde. Er versuchte abzuwiegeln. »Das muss man nicht ernst nehmen. Meines Wissens nach hat das schon ein königlich-schottischer Astronom im neunzehnten Jahrhundert behauptet. Wie hieß er doch gleich…?«
»Charles Piazzi Smyth«, sagte Francisco wie aus der Pistole geschossen.
Helwan funkelte ihn wütend an. »Sind Sie etwa auch so ein Möchtegernarchäologe wie Ihr Bruder?«
»Nein. Aber ich liebe die Ägyptologie. Was Ihre Vorfahren am Nil geleistet haben, ist beispiellos.«
Doktor Paki Helwan entspannte sich. Er deutete auf einen zweiten Sessel, der vor seinem Schreibtisch stand. »Bitte setzen Sie sich doch. Es ist immer beruhigend, jemandem zu begegnen, der uns nicht die Pyramiden und Sphinxen stehlen will.«
»Das liegt mir fern. Wir möchten Ihnen im Gegenteil etwas schenken.« Francisco nahm Platz.
Die buschigen Augenbrauen von Doktor Helwan bewegten sich Richtung Zimmerdecke. »Wir sind für jede Hilfe dankbar. Worum geht’s?«
»Um die Kammer des Wissens«, antwortete Vicente rasch. Er hatte wohl Sorge, die Kontrolle über die Verhandlungen zu verlieren.
»Was?«, kreischte Helwan.
»Die Kammer…«
»Ich habe Sie ganz gut verstanden, Alvarez. Mir rennen täglich irgendwelche Spinner die Tür ein, weil sie nach dieser verdammten Kammer, dem Hort des Wissens oder was weiß ich suchen. Wenn ich jedem Grabungsantrag stattgeben würde, wären die großen Pyramiden samt Sphinx schon längst über den vielen Tunneln zusammengestürzt.«
»Das wollen wir vermeiden.«
»Ach!«
Francisco beugte sich leicht vor. »Wir möchten die Suche gerne etwas zielstrebiger angehen.«
»Das sagen alle.«
»Aber wir können es Ihnen beweisen.«
»Lassen Sie mich raten: Sie haben einen neuen Apparat erfunden. Vielleicht einen Ionenresonanzsensor?«
»Was ist das?«
»Keine Ahnung, habe ich mir eben ausgedacht.«
»Mein Bruder ist ein Finder«, drängte sich Vicente wieder ins Gespräch.
»Na, das ist ja mal was Neues.« Erst jetzt unterzog Helwan den jüngeren Gast einer gründlicheren Musterung und erkundigte sich unvermittelt: »Sie haben einen anderen Familiennamen als Ihr Bruder und sehen sich auch überhaupt nicht ähnlich. Ist einer Ihrer Elternteile Ägypter, Senor Serafin?«
»Wir haben verschiedene Väter«, stellte Vicente eilig klar.
Francisco war zunächst sprachlos, wie vom Donner gerührt. Helwan hatte Recht! Warum war ihm das nicht früher aufgefallen? Er ähnelte den Leuten, die er bisher auf Kairos Straßen gesehen hatte, tatsächlich sehr viel mehr als den meisten Spaniern, die er kannte. Natürlich hatte er schon oft darüber nachgedacht, warum seine Haut so dunkel war und seine äußere Erscheinung eher auf nordafrikanische als auf europäische Wurzeln schließen ließ. Bisher hielt er die nahe liegende Erklärung für ausreichend und die gab er jetzt auch dem Archäologen. »Teile von Spanien standen fast achthundert Jahre lang unter maurischer Herrschaft. Ich nehme an, in meinen Adern fließt das Blut von Arabern oder Berbern.«
Dem Gesicht des Archäologen war anzusehen, dass ihm diese Erklärung gefiel. Er schnippte die Asche seiner Zigarette in eine halbierte Kammmuschel und schenkte Francisco ein wohlwollendes Lächeln. »Die Sache, die Ihr Bruder da eben erwähnt hat – wonach genau sucht so ein…?«
»Finder? Er spürt alles Mögliche auf, so zuverlässig, wie eine Kompassnadel zum Nordpol zeigt.«
»Wollen Sie damit andeuten, Sie seien ein Wünschelrutengänger?« Helwans Stimme wurde wieder schriller.
»Nein«, sagte Francisco sanft. »Ich würde es Ihnen gerne zeigen. Am besten gleich hier. Haben Sie in diesem Büro kürzlich vielleicht irgendetwas verloren?«
Helwan lehnte sich weit in seinem Sessel zurück und musterte seinen jungen Gast argwöhnisch. Schließlich antwortete er, nicht ohne einen gewissen spöttischen Unterton: »Meinen Ring.«
»Was für einen?«
»Einen schweren goldenen Siegelring. Ich hatte ihn hastig vom Finger
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