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Die unsichtbare Pyramide

Titel: Die unsichtbare Pyramide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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sich aller Voraussicht nach entweder bei der Cheopspyramide oder unter der Sphinx befinden. Francisco entschied sich für Option Nummer zwei.
    Und wieder lichtete sich der Nebel.
    Er konnte den unterirdischen Weg als hellen Streifen in dem dunkleren Fels erkennen, fast so wie einen Knochen auf einer Röntgenaufnahme. »Vicente, du malst die Karte«, flüsterte er und setzte sich in Gang.
    Der griechische Geschichtsschreiber schien mit seinem Bericht über ein weit verzweigtes Netz von Tunneln und Kammern Recht zu behalten: Scheinbar planlos lief Francisco auf dem Areal hin und her, oft deutete er auf Quergänge und Nebenkammern hin, die er nur andeutungsweise wahrnahm – hier war tatsächlich dreißig Meter unter der Oberfläche ein Labyrinth versteckt. Die Gänge verliefen manchmal viele Schritte lang schnurgerade durch den Fels, um sich gleich darauf ohne erkennbare Ordnung bald hierhin, bald dorthin zu wenden. Vicente hatte schnell die Lage der wichtigsten Monumente auf ein Blatt Papier skizziert und trug nun jede Angabe seines Bruders auf dieser provisorischen Karte ein. Doktor Helwan markierte darüber hinaus die Richtungsänderungen mit einem dicken Filzstift auf Steinen, die am Wegrand lagen oder von ihm schnell herbeigeschafft wurden. Irgendwann bewegte sich Francisco zielstrebig auf die Große Pyramide zu, bog dann aber doch wieder ab und kehrte mit einigen Haken zur Sphinx zurück. Sein Erkundungsgang endete nicht etwa zwischen den vorderen Tatzen des Fabeltiers, wo die Amerikaner einst dem Gebrabbel des »schlafenden Propheten« nachgespürt hatten, sondern zum Hinterteil des Löwen, genauer links neben der Stelle, wo sein Schwanz entsprang.
    »Das Tor zum Labyrinth liegt hier«, erklärte Francisco so überzeugt, als spreche er vom gut beschilderten Zugang einer U-Bahnstation.
    »Sind Sie sicher?«, fragte Helwan trotzdem.
    »Ganz sicher. Wenn Sie da ein Loch reinmachen und dem Plan meines Bruders folgen, kommen Sie direkt zur Kammer des Wissens«, sagte Vicente im Brustton der Überzeugung.
    Der Ägypter leuchtete mit der Taschenlampe das Hinterteil der Sphinx ab. Schließlich kennzeichnete er die von Francisco bezeigte Stelle mit einem kleinen Kreuz, richtete sich wieder auf, wandte sich mit unglücklicher Miene Vicente zu und erklärte: »Wenn wir der Sphinx einen künstlichen Darmausgang legen müssen, dann wird Ihre Spende aber nicht reichen, Senor Alvarez.«
    Es dauerte dann doch etwas länger, bis Doktor Paki Helwan die Genehmigungen zur Öffnung der Sphinx bei der ägyptischen Altertümerverwaltung durchgeboxt hatte. Als die Arbeiten an dem Monument endlich begannen, war Francisco aufgeregt wie ein kleiner Junge. Ja, das hatte er sich immer gewünscht: einmal selbst als Archäologe im Land der Pharaonen eine bedeutende Entdeckung machen zu dürfen. Alle Warnungen, ob nun von leutseligen Gesichtern in Wasserbassins oder von weißhaarigen Reportern in Warteschlangen ausgesprochen, waren vergessen. Selbst an Vicentes Gerede von der Einigung dreier Welten verschwendete er keinen Gedanken mehr. Er steckte mitten im größten Abenteuer seines Lebens, kam sich schon vor wie Howard Carter, der Entdecker des Grabes von Tutanchamun.
    Das Areal im hinteren Bereich der Sphinx war abgesperrt worden. Zudem wurde hauptsächlich nach Einbruch der Dunkelheit gearbeitet. Helwan schien kein großes Interesse daran zu haben, die Aufmerksamkeit der Weltpresse zu erregen. Ein so bedeutendes Monument wie die große Sphinx von Giseh zu beschädigen war kein Unterfangen, für das man auf spontanen Beifall der Öffentlichkeit hoffen durfte. Die Schwanzwurzel des Fabelwesens wurde zunächst mit vergleichsweise dünnen Bohrern bearbeitet, um es nicht mehr als nötig zu erschüttern. Bis der rechteckige flache Zugang endlich in den Stein getrieben war, vergingen geschlagene vier Tage. Erregt verfolgte Francisco das vorsichtige Herausbrechen der letzten Steine, wobei er schwer einschätzen konnte, ob sich seine Nervosität mehr aus dem Bewusstsein dieses möglicherweise historischen Moments oder eher aus der Nähe seiner sechsten Lebenswelle speiste – nur noch ein Tag und sie würde über ihn hinwegrollen.
    »Hier, nehmen Sie das«, sagte Doktor Helwan und reichte ihm eine Gasmaske.
    Francisco hielt das Angebot zunächst für einen bizarren Scherz, worin er sich bestätigt fand, als der Doktor seine erstaunte Nachfrage beantwortete.
    »Ich will Sie vor dem Fluch des Pharaos schützen.«
    »Nein, danke, ich bin nicht

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