Die unsichtbare Pyramide
abergläubisch.«
Helwan brabbelte etwas, das wie eine orientalische Verwünschung klang.
»Mein Bruder ist mystischen Erfahrungen gegenüber wenig aufgeschlossen«, erläuterte Vicente. Er hatte sich die Atemschutzmaske schon halb übergestülpt – derzeit hing der Rüssel mit dem Filter auf seiner Stirn, was ihn ein wenig wie ein Nashorn aussehen ließ.
»Dann erklären Sie’s ihm«, stöhnte der Ägypter.
»Du kennst vermutlich diese Geschichte von Lord Carnarvon, dem Financier der Tutanchamun-Ausgrabung im Tal der Könige«, sagte Vicente.
»Wer kennt die nicht?«, erwiderte Francisco.
»Carnarvon starb, einige Wochen nachdem er Ende November 1922 der Öffnung des Pharaonengrabes beigewohnt hatte. Es gibt allerlei schaurige Geschichten über die Umstände seines Todes.«
»Alles Ammenmärchen, wenn du mich fragst.«
»Vielleicht nicht ganz. Allein 1924 verstarben noch vier weitere Besucher von Tutanchamuns Grabkammer. Es war wohl kein Fluch, sondern dürften eher Pilzsporen oder Bakterien gewesen sein, die zum Ableben der alten und teilweise von Krankheit geschwächten Männer führten.«
Francisco erinnerte sich, davon gelesen zu haben. »Na also.«
»Aspergillus«, sagte Helwan.
»Wie bitte?«, fragte Francisco.
»Das ist der Name einer Pilzfamilie: Aspergillus niger, Aspergillus flavus oder Aspergillus terreus. Es gibt noch ein paar andere Kandidaten, die als Überbringer des pharaonischen Fluches gehandelt werden. Die von den Schimmelpilzen ausgehende Gefahr wird allgemein überschätzt. Außerdem ist ein Zusammenhang zwischen den erwähnten Todesfällen und den Pilzen umstritten. Aber die Vorschriften verlangen diese Schutzmaßnahme. Haben Sie bitte Verständnis dafür. Wir wollen eben kein unnötiges Risiko eingehen.«
Alles halb so wild. Das sagten die Behörden immer, wenn sie eine schwer abwägbare Gefahr herunterspielen wollten. Francisco bekam trotzdem eine Gänsehaut. Er starrte den Wissenschaftler entgeistert an, bis Vicente ihm dabei half, sich die Gasmaske aufzusetzen. Nachdem der Ausgrabungsleiter sie auch noch mit blauen Schutzhelmen ausgestattet und seine Zigarette ausgedrückt hatte, betraten sie bewaffnet mit großen Handlampen und einer Seiltrommel endlich das Innere der Sphinx.
Hinter dem neu geschaffenen – oder wieder geöffneten? – Eingang lag eine Treppe, die steil nach unten führte.
Helwan ging voran, Francisco folgte ihm und Vicente bildete das Schlusslicht. Ohne Frage musste auch der Ägypter aufgeregt sein, aber er ließ es sich nicht anmerken. Seine von der Atemmaske seltsam verfremdete Stimme hallte von den Schachtwänden wider, als er sich im Plauderton erkundigte: »Habe ich Ihnen eigentlich schon gesagt, Senor Serafin, wodurch ich hellhörig geworden bin, als Sie plötzlich stehen blieben und behaupteten, die Kammer des Wissens läge genau unter Ihnen?«
Francisco kam die Luft trotz oder vielleicht gerade wegen der Gasmaske unheimlich stickig vor. Die Vorstellung, einen wie auch immer gearteten Fluch einzuatmen, lastete wie eine Bleiplatte auf seiner Brust. Mühsam quetschte er ein Nein durch den Partikelfilter.
»Wie Ihnen bekannt sein dürfte, befindet sich unter der Cheopspyramide ebenfalls eine aus dem Fels geschlagene Kammer. Nur wenigen ist jedoch bekannt, dass sie auch ziemlich genau dreißig Meter unter der Basis des Monuments liegt.«
»Vielleicht gehören die beiden Räume zu ein und demselben System«, mutmaßte Vicente aus dem Hintergrund.
»Dann muss der Übergang zu selbigem geschickt verborgen sein.«
»Porticulli«, presste Francisco hervor. Zu mehr war er nicht fähig.
»Sie meinen Verschlusssteine, die sich von oben herabsenken, um den Korridor zum Labyrinth zu verschließen?« Helwan wiegte den Kopf hin und her. »Wir haben natürlich nach allen möglichen Geheimtüren gesucht, aber vielleicht könnten ja Sie…?«
»Nur wenn ich auf die Gasmaske verzichten kann.«
»Das wird sich schon irgendwie… Ein Weg!« Helwan hatte das Ende der Treppe erreicht. Sein Ausruf galt dem Gang, der sich zu beiden Seiten in die Dunkelheit erstreckte. Auch die beiden Brüder kamen jetzt unten an. Vicente warf einen Blick auf den Plan, der sich aus seiner ursprünglichen Skizze dank seismischer Messungen zu einer maßstabgetreuen Karte des Labyrinths weiterentwickelt hatte.
»Nach rechts«, sagte Francisco, bevor Vicente den Kurs bestimmen konnte.
Immer tiefer drangen die drei Männer in das Netz aus Gängen und Kammern ein. Den nackten Felswänden
Weitere Kostenlose Bücher