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Die unsichtbare Pyramide

Titel: Die unsichtbare Pyramide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Knaben veranlasst.«
    »Knaben? Dann hat Gisa also tatsächlich einen Jungen geboren? Na, wenigstens auf unsere Ärzte und ihre pränatale Diagnostik ist Verlass. Weiß man schon, wer mit dem Blag geflohen ist?«
    »Wir vermuten Hobnaj, der…«
    »… nubische Leibwächter Gisas. Ich kenne ihn. Der Mann ist ein Tier.«
    »Hobnaj von Meroe ist ein Fürst und ein mächtiger Krieger. Es wäre unklug, diesen Mann zu unterschätzen.«
    »Gewesen, Waris. Er ist ein Provinzherrscher gewesen. Jetzt trägt er einen Sklavenring. Sprengt das Halsband!«
    »Das haben wir schon versucht, aber sein Bund lässt sich weder orten noch gibt er eine Rückmeldung.«
    »Willst du damit andeuten…?«
    »Es könnte sich um technisches Versagen handeln. Oder der schwarze Bursche ist noch gerissener, als wir ohnehin schon annehmen mussten.«
    »Und was gedenkst du nun zu tun?«
    »Das komplette Repertoire: Straßensperren, Kontrolle der Flug- und Nilhäfen, die Bilder sämtlicher Überwachungskameras werden von Computern mit den Gesichtsmustern von Gisas Vertrauten abgeglichen, wir durchsuchen die ganze Stadt und ihre Umgebung.«
    »Hast du auch daran gedacht, die Telefon- und Datennetze anzuzapfen?«
    »Die werden ohnehin ständig überwacht. Der Nubier sitzt in der Falle.«
    Ibah-Ahitis Gesicht entspannte sich. Sie lächelte nun sogar. Aus der Kumpanin wurde wieder die unnahbare Kaiserin. »Gut. Das ist sogar sehr gut, General. Wird Gisa von Euch verhört?«
    »Wir haben gerade damit begonnen.«
    »Gut, gut. Setzt alle Mittel ein, die Euch zur Verfügung stehen, mein Lieber. Bringt mir ihren Sohn. Besser noch, Ihr tötet den kleinen Bastard auf der Stelle, aber nie, hört Ihr, niemals dürft Ihr ihn entkommen lassen!«
    Seit alters her gehörte die Zeit vor Sonnenaufgang dem lichtscheuen Gesindel der Stadt. Memphis war zwar ein riesiger Moloch, in dessen Adern zu jeder Tages- und Nachtzeit der Verkehr wie zähflüssiges Blut pulsierte, aber der gigantische Organismus bestand nur zum Teil aus den riesigen illuminierten »Schlagadern«, in denen es auch nachts niemals dunkel wurde. Abseits der Hauptverkehrsstraßen gab es ein Labyrinth von engen Gassen, die keiner erkennbaren Ordnung folgten. Absolut willkürlich verzweigten und kreuzten sie sich, öffneten sich mal unerwartet zu kleinen Plätzen, endeten dann wieder jäh in Sackgassen, vor verfallenen Lehmhäusern oder Palästen, wurden mal breiter und nur wenig später wieder so eng, dass nicht einmal ein bepackter Esel sie durchqueren konnte. Die Stadt war ebenso unübersichtlich wie die in ihr lebenden Menschen verschieden waren. Eine kleine Minderheit gehörte der Oberschicht an und genoss die Vorzüge klimatisierter Prunkvillen, wasserstoffbetriebener Automobile und bis an die Zähne bewaffneter Leibwachen. Kaum größer war die Mittelschicht aus Beamten, Bankangestellten und Facharbeitern. Die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung lebte fast noch genauso wie zur Zeit des Alten Reiches. So konnte man auf den Straßen Baqats Kamele ebenso wie chromglänzende Limousinen sehen, Bettler neben steinreichen Händlern oder Adligen, ekstatisch tanzende Mönche und abgeklärt disputierende Wissenschaftler. Die Luft wurde ebenso von düsenbetriebenen Jets wie von den Pfeilen jagender Wüstennomaden durchschnitten und die Meere durchpflügt von den Atom-U-Booten des Pharaos, aber auch von den ehrwürdigen Segelschiffen privater Handelskapitäne. Nachdem Hobnaj den Leibgardisten entkommen war, machte er sich auf den Weg zum Hafenbezirk. Er würde so lange wie möglich den Fluss und dann hauptsächlich die Pfade des vorzeitlichen Memphis benutzen. Während anderswo funktionierende Überwachungskameras die Regel waren, bildeten sie hier eher die Ausnahme. Auch das Netz der Regierungsspitzel war in den Altstadtvierteln nicht so engmaschig, weil immer wieder welche mit durchschnittener Kehle aufgefunden wurden. Wie in einem Löwenrudel gab es in diesem Irrgarten aus Gassen und Plätzchen eine Beißordnung, die selbst der Pharao nicht infrage stellte. Zwischen ihm und den Anführern der rivalisierenden Banden bestand so etwas wie eine friedliche Koexistenz auf der Grundlage gegenseitiger Interessen: Man bezahlte sich, respektierte sich, hasste sich.
    Doch nicht nur Banditen lebten in der Unterstadt, sondern Menschen mit allen möglichen Berufen und Berufungen, von denen einige dem Amjib, des Pharaos berüchtigtem Inlandsgeheimdienst, mehr Sorgen bereiteten als die Diebe und Halsabschneider.

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