Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die unsichtbare Pyramide

Titel: Die unsichtbare Pyramide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
Vom Netzwerk:
war. Doch was nützte ihm der mysteriöse »Sprung« über die Kaistraße, wenn er sich jetzt durch Topras Plärren verriet? Mit weiteren Wundern war wohl vorerst nicht zu rechnen, denn das Kind strahlte nicht mehr. Es schimmerte nicht einmal.
    »Haben Sie eben das Licht gesehen?«, fragte draußen eine Stimme, die der Nubier wiedererkannte. Sie gehörte einem der mutmaßlichen Geheimpolizisten, die Topras Glühen zuerst entdeckt und inzwischen den Kai erreicht hatten.
    »Wir sind ja nicht blind«, antwortete Kapitän Jobax.
    »Und wo kam es her? Etwa von Ihnen?«
    »O ja! Ich habe mich gerade mächtig über die Dreistigkeit Ihrer Kollegen erregt. Da schlage ich manchmal Blitze.«
    »Er lügt«, sagte einer der Männer vom Hafenbüro.
    »Dann haben Sie also keine Ahnung, woher dieses Licht gekommen ist, noch konnten Sie irgendjemanden herumschleichen sehen?«
    »Meint ihr, wir von der Hafenmeisterei sind alle verkalkt? Wir suchen genauso nach dem nubischen Riesen wie ihr und wir haben ihn nicht gesehen – weder hier auf der Mole noch auf dem Schiff dort. Seid ihr jetzt zufrieden?«
    »Nun reg dich nicht auf, Kollege. Wir tun alle nur unsere Pflicht. Sollte euch doch noch etwas auffallen, gebt uns Bescheid.«
    »Ja, ja, ist schon klar.«
    Die um ihre Belohnung geprellten Polizisten zogen ab und wenig später entfernte sich auch Jobax mit den Beamten in Richtung Hafenbüro.
    »Das war knapp, kleiner Topra«, erklärte Hobnaj raunend dem Knaben. Das Kind konnte schon wieder lächeln.
    Auf dem Deck über sich vernahm der Nubier Schritte. Er hatte Jobax sagen hören, die Tanhir werde im Morgengrauen auslaufen; die Reise gehe nach Tarschisch, tausende Seemeilen weiter nordwestlich. Vermutlich hatte der Kapitän seine Männer angewiesen, das Schiff schon einmal klarzumachen, während er das Büro der Hafenmeisterei aufsuchte. Das waren die günstigen Umstände, auf die Hobnaj gehofft hatte. Er legte das Kind vor sich auf die Planken, zog die Kutte aus, unter der er zuletzt mächtig ins Schwitzen gekommen war, ließ sie achtlos fallen und sah sich im Laderaum der Dhau um. Rundbalken verbanden alle acht oder zehn Fuß den Boden mit der Decke. Dazwischen stapelten sich Säcke, Getreide, wie Hobnaj an der Aufschrift erkannte.
    Sollte er Topra gleich hier neben, nein, besser auf der Mönchskutte liegen lassen? Wie lange würde es dauern, bis man ihn fände? Vielleicht wäre ein anderer, von den Seeleuten häufiger besuchter Platz besser geeignet. Mit Sicherheit gab es noch weitere Stauräume auf dem Schiff, denn dieser hier war nur etwa vierzig Fuß, also höchstens ein Drittel so lang wie die ganze Dhau. Doch wie dorthin kommen? Bei dem Betrieb, der an Deck herrschte, war ein langes Herumsuchen unmöglich. Aber was, wenn der Säugling hier zwischen der Ladung zu spät entdeckt wurde? Der Nubier ließ den Atem geräuschvoll ausströmen und hob das Leinenbündel wieder vom Boden auf. Während er das Kind im Arm schaukelte, schritt er die Reihen der fast bis zur Decke reichenden Stapel ab. So entfernte er sich immer weiter von dem flackernden Licht. Um überhaupt noch etwas erkennen zu können, zog er seine kleine Taschenlampe aus dem Gürtel, die ihm in dieser Nacht schon so wertvolle Dienste geleistet hatte. Am Kopfende des Laderaumes entdeckte er einen Niedergang. Wenn jemand hier nach dem Rechten schaute, dann musste er dort herunterkommen. Schnell schritt Hobnaj die letzten Sackreihen ab. Mit einem Mal weiteten sich seine Augen.
    »Das ist es, Topra!«, flüsterte er.
    Ein schmaler Streifen des Laderaums, nicht breiter als der Platz zwischen zwei Reihen von Stützbalken, diente hier einem besonderen Zweck. Da hingen geräucherte Speckseiten, lagen Holzfässer, standen große Amphoren aus Steingut und Säcke aus brauner Jute. Alle Gefäße waren ordentlich verschlossen, damit keine Ratten hineinfallen oder sich am Inhalt gütlich tun konnten – bis auf eine Ausnahme. Ein Sack, bestenfalls noch zu einem Viertel gefüllt mit gedroschenem Weizen, stand weit offen am Boden. Vermutlich hatte der Schiffskoch sich erst vor kurzem daraus bedient und würde es bald noch einmal tun.
    »Was hältst du von einem Nickerchen auf einem weichen Bett aus Korn?«, fragte Hobnaj das Kind.
    Topras winziger Mund verzog sich im Licht der Taschenlampe zu einem Lächeln. Er gab einen freudigen Laut von sich, den man mit einiger Phantasie als Zustimmung deuten konnte.
    Hobnaj seufzte. »Also gut, mein Kleiner. Dann ist jetzt die Stunde des Abschieds

Weitere Kostenlose Bücher