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Die unsichtbare Pyramide

Titel: Die unsichtbare Pyramide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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soll über dessen Gesetze ein epochales Werk verfasst haben – das leider verschollen ist.«
    Der Junge spürte, wie bewegt sein Meister war. Nur in solchen besonderen Momenten nannte er ihn seinen Sohn. Beinahe flüsternd sagte Trevir: »Ich habe das Wesen des Gleichgewichts nicht mal im Ansatz verstanden.«
    »Das ist auch nicht beabsichtigt gewesen.«
    »Was…?«
    Aluuin lächelte nachsichtig. »Vor vielen Jahren – du hattest damals noch nicht das Licht unserer Welt erblickt – lebte auf Sceilg Danaan ein Novize, der das Zeug dazu hatte, mein Nachfolger zu werden. Doch sein Herz wandte sich der Finsternis zu. Kurz nachdem er die Weihe empfangen hatte, missbrauchte er sein Wissen über das Gleichgewicht, um sich etwas zu nehmen, das ihm nicht gehörte. Der Rat des Dreierbunds verbannte ihn daraufhin von der Insel der Stürme. Seitdem habe ich ein Auge auf ihn, damit er sein Wissen nicht zum Schaden des Gleichgewichts einsetzt.«
    »Kannst du denn auch Verborgenes sehen? Du verlässt doch fast nie die Insel.«
    Aluuin kraulte sich den langen weißen Bart und grinste. »Wo denkst du hin! Aber es gibt Menschen, die uns wohlgesonnen sind.«
    »Spitzel?«
    »Das ist ein hässliches Wort, Trevir. Hier geht es nicht darum, einen Verrat zu begehen, sondern ebensolchen zu verhindern. Der Dieb, von dem ich dir erzählt habe, bedroht das Gleichgewicht. Nachdem er uns verlassen hatte, beschloss unser Rat, nie wieder einen Bruder in den inneren Kreis des Wissens aufzunehmen, bevor sein Herz nicht geläutert worden ist.«
    »Dachtest du, Meister, ich könnte dich und die Brüder verraten?«
    Aluuin sah den Jungen traurig an, legte ihm wieder den Arm um die Schulter und antwortete: »Komm, lass uns weitergehen. Was deine Frage betrifft: Nein, das habe ich nie geglaubt. Du weißt, was am Tag der Initiation mit einem Schüler geschieht, der als Novize in die Bruderschaft aufgenommen wird?«
    Trevir nickte. »Auf seine Schulter wird ein Dreieck tätowiert.«
    »Bist du bereit, diese schmerzhafte Handlung an dir vollziehen zu lassen?«
    »Ja, Meister!«
    »Und doch wird es nicht geschehen. Weißt du, warum?«
    Trevir stieß einen Stein mit dem Fuß davon und brummte: »Wegen dem Feuermal.«
    »So ist es, mein Sohn. Du bist anders als deine Brüder, mich inbegriffen. Ich kann verstehen, dass du deshalb verwirrt bist. Du kennst die vollständige Tätowierung von deinen Mitbrüdern: ein zum Dreieck gelegtes Band, dessen eines Ende mit einer halben Drehung verschränkt und erst dann mit dem anderen zusammengefügt ist – dadurch entsteht eine einzige unendliche Oberfläche, das Sinnbild für die Einheit der drei Welten des Triversums. Mit der Initiation bekommt der angehende Novize das innere Dreieck der Figur in die Haut geritzt, am Tag seiner Weihe den äußeren Umriss des Bandes, aber erst, wenn er sich als bewährt erwiesen hat, werden die Linien mit Farbe ausgefüllt. Unsere Schriften sagen, dieses Symbol wurde einst von der Unsichtbaren Pyramide geschaffen, der Gemeinschaft der Hüter des Gleichgewichts.«
    »Aber es gibt doch nur einen Hüter, Meister.«
    »Auf Trimundus trifft das zu. Aber auch auf den anderen beiden Welten leben seit Anbeginn des Triversums solche Wissenden. Allein so bleibt das Gleichgewicht gewahrt. Nur wenn sie in der Not zusammenfinden und zusammen wirken, können sie ihre Aufgabe erfüllen. Jeder von ihnen hat seine Gehilfen, die ihn dabei unterstützen. Manchmal, wenn die Welten sich sehr nahe kommen, findet ein Austausch zwischen den Hütern statt. Wäre es anders, könnte ich dir ja nichts über sie berichten. Vielleicht wärst auch du heute nicht hier, obwohl…« Aluuin verstummte.
    »Woran denkst du, Meister?«
    »An das blaue Licht, das dich als Neugeborenen umgeben hatte, an das Muttermal, an die von dir empfangenen Gaben – das alles deutet noch auf etwas anders hin.«
    Trevir schluckte. Er ahnte, dass die beunruhigenden Offenbarungen seines Meisters nur ein Vorgeplänkel von etwas noch viel Größerem gewesen waren. »Heute soll ich ein Mann werden. Ich möchte wissen, was mit mir los ist. Warum soll ausgerechnet ich das Auf und Ab des Triversums wahrnehmen?«
    Aluuin seufzte. »Um es kurz zu machen: Ich bin davon überzeugt, dass du sein Angelpunkt bist.«
    »Was…?« Trevir verstand kein Wort, aber die Erklärung hörte sich für ihn trotzdem bedrohlich an.
    »Abacuck hat darüber einmal eine Abhandlung verfasst; sie muss irgendwo in unserer Bibliothek liegen. Er glaubte, es könne, wenn

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