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Die unsichtbare Pyramide

Titel: Die unsichtbare Pyramide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Menschheit anbricht, eine, in der man sich noch lange und voller Achtung des ersten Hüters dieses neuen Zeitalters entsinnen wird.«
    Aluuin nahm Platz und hüllte sich in Schweigen. Alle starrten ihn an. Mit einem Mal lächelte er, breitete die Arme aus und sagte: »Jetzt seid ihr dran.«
    Ringsum wurde applaudiert. Jemand stimmte eine fröhliche Melodie auf der Laute an. Bald war der Platz zwischen den Clochans erneut von Gesang erfüllt.
    Trevir blieb stumm. Einerseits ging ihm das alles viel zu schnell und andererseits war er zum ersten Mal in seinem Leben beschwipst. Eine Zeit lang lauschte er den Stimmen, von denen die meisten schön klangen, manche aber auch so rau wie ein über die Insel ziehender Sturm. Er nahm Glücks- und Segenswünsche entgegen, knabberte, eher lustlos, auf einem Stück gebratenem Schafsfleisch herum, hievte sich schließlich auf die Beine und schwankte auf die Klippe hinaus. Einen Fußbreit vor dem Abgrund blieb er stehen.
    Der Mond warf ein silbernes Band auf das Meer. Es glich einer Straße, die man nur zu betreten brauchte, um in ein wunderbares Reich zu gelangen.
    Was würde geschehen, fragte sich Trevir, wenn du jetzt diesen Schritt wagtest? Was, wenn du dein Gleichgewicht verlierst und einfach nach vorne kippst, hinunter in die aufgewühlte See? Aluuins schöne Pläne wären im Nu dahin. Doch er kippte nicht. Nie zuvor war er sich seines ruhenden Schwerpunktes so sicher gewesen.
    »Du solltest besser zwei oder drei Schritte zurücktreten, Junge! Die Klippe ist ziemlich hoch.«
    Es war die besorgte Stimme seines Meisters, die da in Trevirs Rücken erklang. Der Novize drehte sich um. »Ich glaube, ich habe zu viel Schafsmilch getrunken.«
    »Das kommt mir allerdings auch so vor.« Aluuin streckte ihm die Hand entgegen und zog ihn, nachdem sein Schüler sie dankbar ergriffen hatte, von dem Abgrund weg. Erst danach fragte er: »Gibt es noch etwas anderes, das dich bedrückt?«
    Trevir ließ den Kopf hängen. »Bis heute früh war ich noch ein normaler Knabe, aber jetzt soll ich einer sein, der die Welt aus den Angeln heben kann.«
    »Das wollen doch alle jungen Leute, aber außer dir können es nur wenige. Gerade deshalb musst du lernen deine Gaben im Zaum zu halten.«
    »Ja doch! Du weißt genau, wie ich das gemeint habe, Meister.«
    Aluuin lächelte säuerlich und nahm Trevir in den Arm. »Sicher, ich weiß es, mein Sohn. Wenn ich eines im Leben gelernt habe, dann dies: Sorge dich nicht um das Übermorgen, der nächste Tag hat an seinem Übel genug.«
    »Der nächste Tag…? Was ist morgen?«
    »Da wirst du einen gehörigen Kater haben.«
    Trevir blickte einen Moment lang auf das silbrig glitzernde Meer hinaus. Dann wandte er sich wieder dem Alten zu. »Meister?«
    »Ja.«
    »Was ist die Verbotene Stadt?«
    Das Gesicht des Alten verdüsterte sich. »Hatte ich das nicht gesagt? Dort war der Anfang vom Ende dessen, was heute nur noch in den Legenden existiert; von diesem Ort ging das Unheil aus, das Trimundus beinahe zerstörte. Wie fast alles aus alter Zeit ist er bei den meisten in Vergessenheit versunken. Seine Ruinen liegen inmitten eines riesigen Waldes. Niemand weiß genau, wo. Viele Geschichten ranken sich um die Stadt, die man die Verbotene nennt. Es wird erzählt, ein Fluch liege auf ihren verfallenen Gemäuern. Deshalb haben sich die Menschen vor vielen Generationen das Verbot auferlegt, nie wieder dorthin zu gehen.«
    »Warum hat die Unsichtbare Pyramide das Unglück nicht verhindern können?«
    »Weil sich wiederholt hat, was schon einmal am Anfang der Zeit geschehen ist: Die Menschen hatten eine Ahnung von ihrer Welt erlangt, ohne sie wirklich zu verstehen. In ihrem Hochmut hielten sie sich für allwissend. So suchten sie nach Gewinn, wo sie unweigerlich verlieren mussten. Niemand konnte sie mehr aufhalten, auch die Hüter nicht. Nun, das ist lange her und ich bin zum Glück nie in die Verlegenheit gekommen, das Tor zu den anderen beiden Welten zu öffnen, um die Gemeinschaft der Unsichtbaren Pyramide zusammenzurufen. Und ehrlich gesagt zweifle ich daran, ob ich es überhaupt könnte.«
    Trevir blinzelte benommen. Mochte sein Geist sonst eine noch so klare Quelle sein, jetzt war er ein trüber Tümpel. »Das kann ich mir nicht vorstellen«, erwiderte er mit schwerer Zunge.
    Aluuin klopfte ihm auf die Schulter. »Ist im Moment vielleicht auch ein zu schwieriges Thema für dich, mein Sohn. Es war ein anstrengender Tag. Morgen früh beginnt deine richtige Ausbildung. Lass

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