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Die unsichtbare Pyramide

Titel: Die unsichtbare Pyramide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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den Kopf nach hinten kippen und verdrehte die Augen zum Himmel. Gleich darauf lächelte er jedoch schon wieder. »Vielleicht bin ich einfach zu ungeduldig. Das passiert oft mit Leuten, die sich ein Leben lang mit nur einer Sache beschäftigen und plötzlich auf einen Ahnungslosen treffen. Also, pass auf.«
    Die beiden setzten sich wieder in Bewegung und Aluuin begann mit einer neuen Lektion – er liebte es, unter freiem Himmel zu lehren. Vor vielen Jahren, erinnerte er sich, habe er ihm, Trevir, gesagt, dass er die Kräfte des Triversums zu lenken vermöge. Nun sei, wie Trevir sehr wohl wisse, der Dreierbund zu einem einzigen Zweck gegründet worden: die drei Welten im Gleichgewicht zu halten. Grundsätzlich könne sich das Triversum ganz gut um sich selber kümmern. Nicht von ungefähr habe es vor Urzeiten, als das Universum infolge eines unsäglichen Frevels an der Natur wie ein Tonkrug zu zerbersten drohte, von selbst diese verhältnismäßig stabile Lage gefunden. Sie ließe sich gut mit einem dreibeinigen Hocker vergleichen, der auch nicht wackeln könne, solange niemand auf die Idee käme, die drei Beine zu einem Bündel zusammenzuschnüren. Das Sitzen auf so einem Schemel wäre nämlich so gut wie unmöglich – fast zwangsläufig würde man darauf das Gleichgewicht verlieren.
    »Und dasselbe könnte mit dem Triversum geschehen?«, unterbrach Trevir ungläubig seinen Meister.
    »Ja, wenn jemand, der sein Wesen kennt, den richtigen Augenblick abpasst. Trimundus und seine zwei Schwestern sind unablässig in Bewegung. Sie schwingen mit unterschiedlicher Geschwindigkeit. Manchmal treffen ihre Wellenberge zur gleichen Zeit zusammen. In diesem Moment wirken gewaltige Kräfte an ihrer Nahtstelle und das Gleichgewicht wird instabil. Es würde trotzdem nicht ins Wanken geraten, wenn man die Schöpfung sich selbst überließe. Aber, falls jemand in einem solchen heiklen Augenblick gewissermaßen einen Stoß ausübt, dann könnte sich eine Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes ereignen. Schon einmal, vor vielen Generationen, wäre das beinahe geschehen. Die Menschen hatten alle Warnzeichen übersehen und damit Trimundus fast dem Untergang geweiht. Noch heute leidet unsere Welt unter den Folgen dieses Unglücks. Niemals wieder darf so etwas geschehen. Abacuck hatte das gewusst und deshalb den Dreierbund als Bewahrer des Gleichgewichts gegründet.«
    »Aber unsere Gemeinschaft ist so klein. Wie sollen wir eine ganze Welt in der Waage halten?«
    »Es bedarf nur eines winzigen Angelpunktes, um einen riesigen Körper in der Balance zu halten, Trevir. Warte…!«
    Aluuin ging zu einem hüfthohen Felsen in der Nähe und kletterte überraschend flink hinauf. Oben angekommen, beugte er sich vor und stieß seinen Stab ein oder zwei Zoll tief in den Boden. Und dann tat er etwas Erstaunliches: Beide Hände auf den großen, knorrigen Knauf gestützt, beugte er sich langsam vor, drehte dann seinen Unterleib und saß plötzlich auf dem Stab. Zuletzt verschränkte er noch die Beine zum Schneidersitz.
    Trevir traute seinen Augen nicht. Es sah aus, als wüchse dem Alten ein Ast aus dem Hintern. Abgesehen von seinem etwas verbissenen Gesicht schien er damit wenig Probleme zu haben – er schwankte kein bisschen. »Wie ist das möglich, Meister!?«
    »Nur durch die Bereitschaft, sich auch unbequemen Erfahrungen zu stellen«, erwiderte Aluuin mit zusammengebissenen Zähnen. »Man sitzt nämlich nicht sehr gut.«
    Staunend wanderte Trevir, so weit es der Felsen zuließ, um Aluuin herum. »Das hast du mir noch nie gezeigt.«
    »Vermutlich weil ich die nächsten drei Tage nur noch auf weichen Kissen sitzen kann.« Unvermittelt kippte der Stab nach vorn und Aluuin landete sicher auf seinen Beinen. Sich das Gesäß unter der dicken grauen Kutte reibend, setzte er seinen Marsch zu den Clochans fort. Nach einigen Schritten erklärte er: »Das kleine Kunststück sollte nur der Veranschaulichung dienen; verglichen mit den Fähigkeiten, die du in Bälde an dir entdecken wirst, ist es nur eine billige Gaukelei. Du bist ein Empfänger, Trevir. Damit dürfte von Geburt an in dir schlummern, was unsereins kaum durch jahrelanges beharrliches Üben zu erlernen vermag.«
    »Warum sucht sich der Dreierbund dann nicht Seiltänzer als Novizen?«
    »Du wirst lachen, aber einige deiner Brüder waren das früher gewesen. Um Großes zu vollbringen, bedarf es zunächst eines Verständnisses der kleinen ›Fingerfertigkeiten‹. Jeder Körper, auch jede Gruppe von

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