Die unsichtbare Pyramide
geschaffen zu sein. In meiner Brust schlugen jedoch zwei Herzen, eines gehörte dem Herrn. Fünf Jahre strichen ins Land und ich durchlief bei den Franziskanern alle Probe- und Ausbildungszeiten vom Postulat über das Noviziat bis zum Juniorat. Mein innerer Konflikt war wie ein Feuer in meinen Gebeinen und nun musste ich mich entscheiden: Ehe oder Zölibat. Ich wählte den Weg Gottes und trat in den Ersten Orden ein. Nach dem Tag meiner Ewigen Profess, kam ein Gefühl der Reue auf, das mich zu zerreißen drohte. Hätte ich das Gelübde besser nicht ablegen sollen? Ich liebte Estefania immer noch und war sicher, ihr könne es nicht anders gehen. Wir trafen uns weiterhin – in aller Keuschheit, versteht sich –, aber damit machte ich mir meinen Weg nicht leichter. Im Grunde leide ich heute noch unter dem, was ich ›die Pein eines ewig wunden Herzens‹ nenne. Deshalb wollte ich nicht, dass du Clara weiterhin siehst. Ich möchte dir diese lebenslange Qual ersparen.«
Francisco fühlte sich elend, weil er – zumindest indirekt – die Beweggründe seines Mentors infrage gestellt und ihn dadurch zu dieser »Beichte« genötigt hatte. Andererseits…
»Warum hast du nicht mir diese Entscheidung überlassen, Bruder Pedro?«
Wieder seufzte der Guardian. »Du bist noch so jung, mein Sohn! In deinem Alter neigt man zu dem Trugschluss, großes Wissen bedeute auch große Weisheit. Aber glaube mir, die größten Torheiten der Menschheit wurden von den gescheitesten Köpfen ausgebrütet. Wem verdanken wir denn in erster Linie die furchtbaren Kriege? Den Staatsführern, hohen Militärs, Wissenschaftlern und – ich sage das nicht gerne – führenden Geistlichen, also in Mehrheit den studierten Leuten.«
»Hier geht es nicht um Krieg, Bruder Pedro, sondern um mich.«
»Ebendeshalb, mein Sohn. Es geht um deinen Seelenfrieden.«
Francisco wollte erneut zum Widerspruch anheben, atmete stattdessen aber wieder aus. Was für einen Sinn machte es, darüber zu streiten? Ohne Frage wollte Pedro nur sein Bestes. »Was ist aus dir und Estefania geworden? Seht ihr euch noch ab und zu?«
»Nein, denn sie lebt nicht mehr. Eine Zeit lang hatte sie sich von einem anderen trösten lassen, ohne ihn je zu heiraten.«
Francisco hörte die Bitterkeit in Pedros Stimme und schwieg. Wer war diese Estefania? Woher stammte sie? Und warum war sie so früh gestorben?
Der Novize traute sich nicht, dieses für seinen Lehrmeister so schmerzvolle Thema weiter fortzuführen, obwohl er fast körperlich spürte, dass es da noch etwas anderes gab, das Pedro ihm vorenthielt.
Am Tag nach der »Beichte« des Guardians saß Francisco allein im Refektorium und grübelte. Die Mönche hatten ihr Mittagsmahl bereits beendet und gingen wieder ihren unterschiedlichen Pflichten nach. Pedro war nach der Sext, dem Zwölfuhrgebet, überraschend nach Huelva aufgebrochen, aber sein Schüler hatte sich ihm, aus bekannten Gründen, nicht anschließen wollen. Er fühle sich nicht wohl, lautete die nicht einmal gelogene Begründung – er war beunruhigt, weil er sich so unruhig fühlte.
Francisco saß vor einem halb leeren Teller, den Kopf hielt er auf die linke Hand gestützt. Verdrießlich schob er das inzwischen kalte Essen auf die Seite. »Ich habe schon seit gestern keinen Appetit mehr«, brummte er – der Novize neigte zu Selbstgesprächen. Langsam tauchte er den rechten Zeigefinger ins Trinkglas und malte eine feuchte Figur auf die hölzerne Tischplatte. Ein Dreieck.
Plötzlich klimperte, genau vor seiner Nase, eine Münze auf den Tisch. Francisco erschrak, ließ es sich aber nicht anmerken. Gewiss ging der Streich auf das Konto von Urbano, der in dieser Woche für den Tischdienst eingeteilt war – wegen seines ungeschlachten Wesens nannten die Mitbrüder ihn liebevoll »Poltergeist«. Eine Zeit lang rotierte das Geldstück neben dem nassen Dreieck, begann zu eiern, wurde dabei immer schneller, bis es nur noch hektisch zitterte und schließlich liegen blieb. Francisco verfolgte den Vorgang – scheinbar teilnahmslos – aus dem Augenwinkel. Er sah eine Hand nach der Münze greifen, hörte ein Schnipsen, anschließend das helle Klingen des durch die Luft wirbelnden Metalls, gleich darauf wurde es wieder aufgefangen und das silbrige Ding begann seine Pirouetten von vorn.
»Was du da eben gesehen hast, wird dein Leben verändern«, sagte eine Stimme, die Francisco nun doch zusammenfahren ließ, weil sie ihm gänzlich unvertraut war; immerhin hatte sie freundlich
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