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Die unsichtbare Pyramide

Titel: Die unsichtbare Pyramide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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guten Grund gehabt haben, warum sie die Ziffer eins nur dreimal aneinander fügten. Ich schenke dir die Münze, damit du nie vergisst, wie man sich irren kann.«
     
     
    Vicente kam – nachdem sich das Gespräch in Franciscos Zelle noch kurz um das einhundertfünfundachtzig Jahre alte Geldstück gedreht hatte – schnell auf den Punkt.
    »Hast du je erfahren, wer deine Eltern sind?«
    Francisco erstarrte. Seine Antwort kam zögerlich. »Warum?«
    Vicente nickte wissend. »Also nicht. Hätte mich auch gewundert. Möchtest du es erfahren?«
    Jetzt glaubte der Novize von einem Stromschlag geschüttelt zu werden. »Was?«
    »Ob du die Namen deiner Eltern erfahren möchtest?«
    Francisco war nicht in der Lage, etwas zu erwidern.
    »Also, deine Mutter« – Vicente hielt kurz inne, sah den Novizen forschend an und fuhr, als er mit keinem Widerspruch mehr rechnete, fort – »stammte aus Sevilla. Zuletzt lebte sie in Huelva. In ihren Adern floss blaues Blut. Sie hieß Estefania Morales.«
    »Este-?« Der Name blieb Francisco im Halse stecken. War es ein Zufall, dass seine angebliche Mutter genauso hieß wie Pedros unglückliche Liebe?
    »Und dein Vater« – Vicente zögerte abermals, wiewohl sein Gesichtsausdruck nun weniger fragend als eher verschwörerisch wirkte – »war ein hoher kirchlicher Würdenträger.«
    »Nein!«, stieß Francisco hervor, seine Hand fuhr zum Mund. War das möglich? Hatte Bruder Pedro ihn etwa angelogen? Konnte er sein leiblicher Vater sein? Oder stand der Mann, mit dem sich Estefania getröstet hatte, in der kirchlichen Hierarchie noch höher?
    Der Besucher nickte, als habe er die Gedanken des Novizen erraten. »Er war kein Geringerer als ein Amtsvorgänger des jetzigen Provinzialministers der Franziskaner.«
    Bis jetzt hatte Francisco gestanden, aber nun gaben seine Knie nach; zum Glück stand er vor seinem Bett, das ihn auffing. Im Sitzen stotterte er: »Er… Er hieß… Pedro Alvarez; sein Ordensname war derselbe wie der unseres Guardians. Wieso… Ich meine, warum kommt das erst jetzt heraus? Woher wissen Sie davon? Wer sind Sie überhaupt?«
    Vicente zögerte. Aber dann antwortete er: »Ich bin dein Bruder.«
    Franciscos Mund stand offen, brachte aber keinen Laut hervor. Er starrte sein Gegenüber nur aus glasigen Augen an. Obwohl die vier Worte kaum misszuverstehen waren, schien sich ihr Sinn dem Novizen nicht zu erschließen. Er schüttelte den Kopf, erst langsam, dann nachdrücklich.
    »Ich kann verstehen, dass dich die Nachricht umhaut«, sagte Vicente mitfühlend.
    »Du… siehst mir überhaupt nicht ähnlich«, stammelte Francisco.
    »Das liegt daran, dass wir zwar denselben Vater, aber unterschiedliche Mütter haben. Estefania Morales hat mich als Säugling zu sich genommen und wie ihren eigenen Sohn aufgezogen. Du dagegen bist ihr leibliches Kind.«
    »Aber der Provinziale steht doch unter Zölibat! Wie kann er von verschiedenen Frauen…?«
    »Bist du wirklich so naiv, Francisco? Das Gelübde der Ehelosigkeit hat den Klerus noch nie davon abgehalten, Kinder in die Welt zu setzen. Wir beide sind das beste Beispiel dafür.«
    Francisco kam nicht umhin, an die »Beichte« seines Mentors zu denken. Der in der Ordenshierarchie höher rangierende Pedro war also der Rivale des niedriger stehenden gewesen. Als Mann, der sich selbst an sein Keuschheitsgelübde hielt, musste Bruder Pedro seinen Provinzialminister verachtet haben. Ob Estefania ihr Kind deshalb vor den Pforten La Rábidas…? Francisco erhob sich vom Bett und taumelte auf den kleinen Tisch zu, wo eine Karaffe mit Wasser stand. Er schenkte sich ein Glas ein und trank es in einem Zug aus. Erst dann wandte er sich wieder seinem Bruder zu und fragte: »Hat meine Mutter mich vor dem Kloster in den Schnee gelegt, weil sie die Schande nicht ertragen konnte, einen… ›Bastard‹ aufzuziehen?«
    Vicentes Gesicht wirkte hart wie Granit. »Ich war es, der dich hierher brachte.«
    »Du? Aber warum…?«
    »Damals war ich ein Halbwüchsiger von siebzehn Jahren. Als ich meinen Vater und Estefania tot in unserem Haus in Huelva fand…«
    »Was!?« Dem Novizen knickten abermals die Beine weg, doch Vicente rettete ihn geistesgegenwärtig mit einem Stuhl vor Schlimmerem.
    »Francisco!«, sagte er streng. »Wenn du nicht zuhörst, wirst du nie die ganze Wahrheit erfahren.«
    »Entschuldige. Das ist alles ein bisschen viel für mich.«
    »Schon gut. Wo war ich stehen geblieben? Ah ja! Es war der Tag, als ein Mann von der Erde abtrat, den

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