Die unsichtbare Pyramide
jetzt auch nur lahm die ihm von Bruder Pedro vorgeschlagene Formel. »Die Dreifaltigkeit ist ein heiliges Geheimnis.«
In Vicentes Augen lag ein triumphierendes Glitzern. »Ein Geheimnis ist sie den meisten Menschen wohl – aber heilig? Ich würde die Lehre von der Dreifaltigkeit eher als spirituelle Verbrämung der stofflichen Wirklichkeit ansehen, als eine der Religion dienlich gemachte Umschreibung für das dreigeteilte Universum.«
»Worauf willst du hinaus?«
»Ganz einfach: Als die Welt in drei Teile zerfallen und dabei fast untergegangen war, wussten die Überlebenden sehr genau, welcher Frevel an der Natur dahinter stand. Um eine möglicherweise noch schlimmere Wiederholung des Unglücks zu verhindern, hatte die Unsichtbare Pyramide eine geschickte Legende gesponnen – die Bruderschaft konnte die Wahrheit zwar nicht völlig unterdrücken, sie aber sehr raffiniert ›verkleiden‹. Schau dich einmal um in den Religionen der Welt. Überall findest du Göttertriaden: Horus, Osiris und Isis im alten Ägypten; Ischtar, Sin und Schamasch in Babylon; die Palmyra-Triade; die hinduistischen und buddhistischen Dreiheiten im fernen Indien…«
»Ich habe davon gelesen«, unterbrach Francisco seinen Bruder. In seinem Kopf drehte sich alles.
»Und es hat dich nie nachdenklich gestimmt?«
»Doch«, knurrte Francisco.
»Das tröstet mich. Ich will dir nicht deinen Glauben nehmen, Bruder. Aber noch einmal: Vielleicht kann ich dir die Augen öffnen. Überlege doch: Die Zahl Drei durchzieht unser ganzes Leben, wie schon unser vorheriges Gespräch über die Acht-Real-Münze gezeigt haben dürfte. Oder nimm nur die Tiara. Du weißt besser als ich, dass sich der Heilige Vater bis vor kurzem noch mit dieser dreifachen Krone geschmückt hat, angeblich ein Symbol seiner Macht über Himmel, Erde und Hölle. Aber dieses Insignie ist älter als die katholische Kirche. Schon die heidnischen Könige Assyriens und Persiens trugen Tiaren. Warum wohl? Könnten sie nicht auch kaschierte Relikte des Anspruches auf die Herrschaft über das dreigeteilte Multiversum sein?«
»Du bist auf dem besten Wege, dich zum Narren zu machen.«
»So? Und du kannst nicht alles ins Lächerliche ziehen, Francisco. Da in deinem Regal steht ein Buch über Hieroglyphen. Ich bin zwar Altertumsforscher, aber die ägyptische Schrift ist mir nur bruchstückhaft vertraut. Soviel ich weiß, besitzt sie keine Vokale, weshalb man von vielen Worten heute nicht mehr ihre ursprüngliche Aussprache kennt. Ein Begriff ist mir trotzdem haften geblieben: xmt. Wer kann schon sagen, welche Selbstlaute die alten Ägypter ihm gaben? Xamt? Xomot? Xumat? Ist auch egal. Wirklich beeindruckt haben mich die unterschiedlichen Bedeutungen dieses Wortes, das für die Zahl Drei steht.«
Francisco lief ein kalter Schauer über den Rücken. Er kannte den Sinn des Begriffes sehr genau, wagte aber nicht ihn auszusprechen.
Vicente nahm darauf keine Rücksicht. »Das Wort kann auch ›Empfänger‹ bedeuten oder ›Demiurg‹. Du weißt, was ein Demiurg ist?«
»Ein Weltenschöpfer«, hauchte Francisco.
»Du sagst es. Ein Weltenbaumeister, der die chaotische Materie zum geordneten Kosmos formt. Findest du es nicht höchst merkwürdig, dass die Ägypter ausgerechnet der Zahl Drei diese tiefere Bedeutung gegeben haben?«
Francisco drückte sich um eine direkte Antwort. »Warum bist du zu mir gekommen, Vicente?«
Der Angesprochene breitete die Arme aus. »Weil ich endlich mein Bruderherz Wiedersehen wollte.«
»Das ist dir ziemlich spät eingefallen.«
»Na gut, ich gebe zu, dass mir lange Zeit anderes wichtiger war. Ich hatte ja nie ein richtiges Verhältnis zu dir aufbauen können, weil wir uns am Tag deiner Geburt schon wieder trennen mussten. Außerdem darfst du nicht vergessen, welche Todesangst ich hatte, nachdem ich quasi Zeuge des Mords an unseren Eltern geworden war. Erst kam die Flucht zu den Verwandten ins Ausland – glücklicherweise haben sie mich aufgenommen –, dann die Schule, später die Universität. Du warst für mich nur noch eine ferne Erinnerung. Aber dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Mir wurden während meiner archäologischen Studien plötzlich Zusammenhänge klar, die nur zu verstehen sind, wenn man die Schriften aus Vaters Nachlass kennt. Auf der ganzen Welt gibt es Pyramiden, riesige ›magische Dreiecke‹. Einige Wissenschaftler sehen in dieser Form nur den in Stein gebannten Lauf der Sonne am Himmel – erst geht sie auf, dann wieder
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