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Die unsichtbare Pyramide

Titel: Die unsichtbare Pyramide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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entziehen. Jetzt, wo endlich Licht in das geheimnisvolle Dunkel seiner Herkunft kam, beschäftigte ihn umso mehr das Rätsel der vermeintlichen »Wunder«. Mit Vicente an seiner Seite würde er es möglicherweise lösen können. Aber stärker noch als seine Wissbegier war die Loyalität gegenüber Pedro.
    »Ich kann nicht.«
    Vicente reagierte erstaunt. Er hatte wohl damit gerechnet, seinen Bruder endlich überzeugt zu haben. Beschwichtigend sagte er: »Deine Antwort kommt mir etwas zu schnell, Francisco. Lass mich dich in zwei Tagen noch einmal besuchen. Bis dahin kannst du über alles nachdenken und mir dann deine Entscheidung mitteilen. An Geld wird es uns übrigens nicht mangeln. Das Erbe unseres Vaters ist bedeutend und es gehört ebenso dir wie mir.«
    Francisco war zu erschöpft, um noch weiter nach Argumenten zu suchen. Deshalb antwortete er nur. »Von mir aus. Dann sehen wir uns übermorgen.«
    Die nächsten beiden Tage waren für Francisco das, was er sich unter der Hölle vorstellte. Ihn plagte ein schlechtes Gewissen, weil er sich Bruder Pedro gegenüber nicht zu offenbaren wagte. Zwar hatte er ihn in einem Moment der Kühnheit gefragt, was er davon halten würde, wenn sein Schüler eines Tages La Rábida verließe, wenn er womöglich sogar den Franziskanern den Rücken kehrte. Die Reaktion des »Wächters« war Entsetzen. Das könne ihm Francisco unmöglich antun, stieß Pedro hervor und blickte dabei so leidvoll wie Christus an einem Kruzifix. Der Novize hätte sich am liebsten in Luft aufgelöst. Von Vicente und dessen Vorschlag erwähnte er nichts. Als der junge Archäologe dann am Donnerstag wieder auftauchte, empfing ihn Francisco ausgewählt kühl. Um sich nicht erneut in die Enge treiben zu lassen, erwartete er seinen Halbbruder im Kreuzgang. In früheren Zeiten war dieser ein zentraler Punkt der Begegnung und Besinnung gewesen. Jetzt verkehrten neben Mönchen allzu oft auch Touristen in dem Geviert. Den mit einem sternförmigen Fußbodenmosaik verzierten, zum Himmel offenen Innenhof säumte ebenerdig ein Bogengang aus rotem Backstein. Das weiß verputzte Obergeschoss besaß eine Galerie mit Flachbogenfenstern. Auf den Simsen der Öffnungen standen Blumentöpfe. Hier, wo man nie ganz allein, nie völlig ungesehen war, fühlte sich Francisco im Vorteil.
    »Ich gehe nicht mit, Vicente«, verkündete er fest.
    Das Gesicht seines Bruders verfinsterte sich. In einem Ton, der sowohl Warnung als auch Drohung sein konnte, erwiderte er: »Du begehst einen Fehler, der sehr bitter für dich enden könnte.«
    »Weiche dem Schmerz des Lebens nicht aus. Dein Kreuz kann dich reifer machen und gibt dir die Chance, mitzutragen am Kreuz Christi«, rezitierte Francisco einen der »Bausteine« des Ordenslebens.
    Vicente ignorierte die Äußerung und fragte stattdessen: »Warum nimmst du mich nicht ernst?«
    Francisco stöhnte leise. »Vicente! Du verlangst da eine Sache von mir, die alles auf den Kopf stellt, was Pedro mir beigebracht hat. Es ist mir einfach…« Er hielt inne, weil gerade Bruder Urbano mit einem Stapel leerer Kochtöpfe vorbeipolterte, wartete und flüsterte dann: »Einfach zu… mystisch.«
    »Ha! Das musst ausgerechnet du sagen, ein Franziskaner. Ich finde deine Haltung ziemlich heuchlerisch.«
    »Was soll das nun wieder heißen?«
    »Erzähl mir jetzt nicht, du hättest noch nie von Doctor seraphicus gehört. Er war ein Gelehrter, den die großen, über das sinnlich Erfassbare hinausgehenden Geheimnisse faszinierten und beschäftigten. Seinen Titel verdankt er den mystischen Schriften, die er verfasste. Zweifellos kennst du sein Werk Reise des Geistes zu Gott. Du weißt, von wem ich rede?«
    »Vom heiligen Bonaventura«, brummte Francisco.
    »Dem einstigen Oberhaupt und Erneuerer deines Ordens«, fügte Vicente nickend hinzu. »Kannst du mit Sicherheit leugnen, ob der ›brennende‹ Doktor in seinen Abhandlungen nicht von der Wanderung zwischen den Welten des Multiversums sprach? Wenn schon einer eurer Generalminister – ein geistliches Oberhaupt der Franziskaner! – ein Mystiker war, wie kannst du da deinem eigenen Bruder vorwerfen, er wolle dich zu mystischen Handlungen verleiten? Ich bin kein Anhänger der Mystik, sondern Archäologe. Wissenschaftler! Wenn nicht ich mit beiden Beinen auf dem Boden der Tatsachen stehe, wer dann?«
    Wieder hatte Vicente seine Argumente geschickt gewählt. Sie wirkten bei dem Novizen ungefähr so wie ein Faustschlag in die Magengrube. Es war schwer, sich von

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