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Die unsichtbare Pyramide

Titel: Die unsichtbare Pyramide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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das Leben gerettet. Als gewöhnlicher Dieb oder Spion hätte ihn der Hüne, bei dem es sich übrigens um keinen Geringeren als den Helmzerbeuler Acwulf handelte, vermutlich mit Wonne zerstückelt.
    Der Kerker lag tief unter der Festung. Feuchtes, halb verfaultes Stroh auf dem Boden verbreitete einen modrigen Geruch. Im flackernden Licht einer Kerze sah Trevir Wände aus massivem Fels. Zwar hatte der fette Wärter Trevirs Handgelenke nicht in die Ketten gelegt, die dort herabhingen, aber das hob die Stimmung des Gefangenen nur wenig. Missmutig starrte er auf die schwere Holztür. Dahinter rumorte ein Kerkermeister, der nicht allein ob der ihm fehlenden rechten Ohrmuschel einen wenig verständnisvollen Eindruck gemacht hatte. Sein ganzes Benehmen während der Einquartierung des neuen Gastes legte eher die Vermutung nahe, dass er zu jenen Zeitgenossen gehörte, die sich die Arbeit mit dem Quälen von Kellerasseln, Ratten und Gefängnisinsassen versüßten.
    Seit Trevirs Festnahme mochten vielleicht drei Stunden vergangen sein – in dem lichtlosen Verlies wurde die Zeit zu einem Nebel, ohne bestimmbares Maß. Der Gefangene hatte ein kurzes Verhör über sich ergehen lassen müssen, in dem es wohl hauptsächlich darum ging, ob man ihm Schmerzen zufügen durfte oder ob er doch den Respekt eines vom Hausherrn geachteten Gastes verdiente. Als Kompromiss entschied man sich für den stinkenden Kerker.
    »Wenn du nicht bald hier rauskommst, wirst du wie das Stroh verfaulen«, murmelte Trevir. Hinter sich hörte er ein Geräusch. In der Tür befand sich eine Öffnung, durch die ihn, nicht zum ersten Mal, ein wässriges Augenpaar boshaft anstierte. Er war viel zu aufgeregt, um darauf zu achten. Wie ein wildes Tier lief er in der geräumigen Zelle hin und her. In seinem Gedankenozean dümpelte der Dokumentenhalter wie ein Stück Treibholz: Mal verschwand er unter der Sorge, hier verrotten zu müssen, dann tauchte er wieder auf.
    Woher kannte Molog das Symbol des Dreierbunds? War die Röhre ein Beutestück vom Überfall auf Sceilg Danaan? »Nein«, flüsterte Trevir. Als Schüler Aluuins hätte er solche Silberbehälter dort wenigstens schon einmal gesehen haben müssen. Aber die Brüder benutzten schlichte, mit Wachs versiegelte Tonbehälter für die Lagerung wertvoller Dokumente, nicht solche kostbaren Zylinder. Das von Trevir gestohlene Stück hatte ausgesehen, als wäre es schon ein, zwei oder mehr Jahrzehnte in ständigem Gebrauch gewesen.
    »Wenn ich nur drankäme!«, flüsterte er. Von einer starken Unruhe getrieben, wandte er den Kopf nach oben, genau in Richtung jenes abgelegenen Winkels, in dem der Dokumentenhalter nach seinem Sturz vom Dach liegen geblieben war. Niemand hatte ihn bisher gefunden. Trevir wusste es.
    Und plötzlich konnte er die Röhre sogar sehen.
    Noch nie hatte der Empfänger einen fernen Gegenstand so deutlich erblickt. Nur dünne Nebelschleier schienen das Bild schwach zu trüben. Als er die Augen schloss, wurde die Vision sogar noch klarer. Ja, jetzt glaubte Trevir sogar sehr leise Stimmen zu vernehmen. Ihm war im Verlauf der letzten dreieinhalb Jahre zwar aufgefallen, dass die Kraft des Triversums nicht immer gleich in ihm wirkte – erst nahm sie ab, dann wieder zu –, aber so machtvoll wie jetzt hatte er sie noch nie erlebt. Der Fels und das Mauerwerk der Festung schienen gleichsam aus Glas zu bestehen.
    Als der Gefangene die Augen wieder öffnete, stutzte er. Etwas hatte sich verändert. Die halblebige Flamme des fast schon heruntergebrannten Kerzenstummels hatte von irgendwoher Verstärkung bekommen. Der ganze Raum erstrahlte in einem blauen Licht. Trevir erschauderte. Sein Herz begann zu rasen. Entgeistert betrachtete er seine leuchtenden Hände. Zum Glück hatte sich das wässrige Augenpaar gerade zurückgezogen. Er begann zu schwitzen, obwohl es in dem Kerker eher kühl war. Zuletzt hatte ihm dieses Glühen eine Hand voll Sand eingebracht. Welche Überraschung erwartete ihn wohl jetzt?
    Trevir blickte wieder nach oben, wo der Dokumentenhalter im Burghof lag. Wenn er doch nur genauso dorthin springen könnte wie damals zu Dwina auf die Klippe! Plötzlich spürte er einen ziehenden Schmerz. Sein Körper fühlte sich an, als bestünde er aus Wasser. Seine Umgebung schien sich aufzulösen. Unwillkürlich machte er einen Schritt nach vorn. Ein lautes Platschen war das Letzte, was er innerhalb der Zelle wahrnahm.
    Im nächsten Moment stand er pitschnass im Innenhof der Burg.
     
     
    Hungrold,

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