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Die unsichtbare Pyramide

Titel: Die unsichtbare Pyramide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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für ein Licht gesehen hast, dann werde ich dir mit meiner Streitaxt heimleuchten. Haben wir uns verstanden?«
    »Jetzt reg dich ab, Acwulf. So ‘n blaues Fünkchen ist doch was Schönes. Wünsch dir was.«
    »Was für ein blaues Fünkchen!«, brüllte der hungrige Müde mit Donnerstimme.
    »Na, die Sternschnuppe. Ich kann mir was wünschen. Hast du sie wirklich nicht gesehen?«
    Ein schepperndes Geräusch ließ Trevir zusammenfahren. Sein Fuß rutschte ab. Einige bange Augenblicke lang kämpfte er um Halt. Währenddessen erklang von oben eine nörgelnde Stimme.
    »Du hast mir den Helm verbeult, Acwulf.«
    »Wünsch dir doch einen neuen, du Schnuppengucker.«
    Eine Glocke ertönte, das Zeichen für den Wachwechsel. Trevir hing inzwischen wieder sicher an der Mauer. Er hörte Schritte, die sich entfernten. Das war genau der Moment, den er hatte abpassen wollen. Schnell erklomm er die Zinne und schwang sich auf den Wehrgang. In geduckter Haltung sah er sich um. Nirgends waren Posten zu sehen. Sehr gut! Jetzt müssen wir nur noch Mologs Gemach finden. Seine Lippen formten lautlos die Worte.
    Von Norden her näherte sich die neue Wache, zunächst nur am Geräusch ihrer Stiefel auszumachen. Also lief er auf der Mauer nach Süden. Bald erreichte er eine Treppe. Kurz lauschte er. Von unten waren keine verdächtigen Geräusche zu hören. Er huschte die Stufen hinab. Dann stand er im Hof. Wohin jetzt?
    Der Turm! Der mächtige Bergfried im Zentrum der Anlage war der sicherste Ort im Falle einer Belagerung. Vermutlich hatte der Herr von Zennor Quoit sich dort eingenistet. Ein beunruhigend großes und nicht die geringste Deckung bietendes Stück des Innenhofs trennte Trevir von dem kreisrunden Bauwerk. Zu allem Übel brannte neben der erhöhten Pforte eine Fackel. Er holte tief Luft und wappnete sich innerlich für einen Spurt. Da hörte er Stimmen.
    Jemand lachte. Trevir drückte sich schnell in einen dunklen Winkel am Fuß der Treppe, gerade rechtzeitig, um nicht zwei schwarzen Kriegern in die Arme zu laufen.
    »Er hat dir die Beule tatsächlich mit der bloßen Faust verpasst? Wieso denn, Heahfrith?«, fragte eine hagere Gestalt voller Unglauben; sie gab beim Gehen merkwürdig klappernde Geräusche von sich.
    »Na, warum schon, Mann? Er war sauer, weil er die Sternschnuppe nicht selbst entdeckt hat. O du ahnst ja nicht, wie mein Schädel brummt!«
    »Komm. Lass uns ein oder zwei Krüge Bier hineinkippen. Das hilft!«
    Die Feierabendlaune trug die Wachen rasch fort.
    Als die Stimmen der beiden Posten zwischen den Gebäuden des großen Innenhofs verhallt waren, wartete Trevir noch zehn tiefe Atemzüge lang. Dann rannte er, so schnell er konnte, über den Innenhof, direkt in die Schatten der Treppe, die zur Pforte hinaufführte. Keuchend presste sich Trevir mit dem Rücken an das Gemäuer und blickte sich um. Von irgendwo hörte er Gelächter. Auf den Wehrgängen sah er patrouillierende Wachen. Aber die widmeten ihre ganze Aufmerksamkeit dem Gebiet vor der Mauer. Niemand schien zu ahnen, dass der Feind bereits in der Burg war.
    Nach einer kurzen Verschnaufpause überwand Trevir die Holztreppe. Oben angekommen machte er sich unter der Fackel so klein wie möglich. An der schweren, eisenbeschlagenen Holztür befand sich ein Metallring. Trevir zog daran – nichts geschah –, er schob – die Tür rührte sich nicht –, dann drehte er den Ring und hörte ein metallisches Kratzen. Gleich darauf sprang die Pforte eine Handbreit auf. Vorsichtig drückte Trevir sie weiter nach innen, was ihm einen Schauer bescherte, weil die Tür ein kreischendes Geräusch von sich gab. Sein Kopf fuhr herum.
    Die Wachen auf dem Wehrgang hielten ihre Blicke weiter nach draußen gerichtet. Das Scharnier hatte wohl doch nicht so laut protestiert. Wie ein Schatten huschte Trevir in den Turm.
    Auch drinnen brannten Fackeln. Eine grob gezimmerte Holztreppe führte nach oben. Solche Stiegen konnten im Notfall schnell abgebaut werden, um einem Feind die Erstürmung zu erschweren. Vorausgesetzt, man wusste, dass ein solcher nahte. Trevir grinste.
    Auf Zehenspitzen machte er sich an den Aufstieg. Die Stufen knarzten, dass es ihm eine Gänsehaut bescherte, aber er ging weiter. Trevir hatte, da sein Dolch im Wald geblieben war, keine Waffe im üblichen Sinne, um sich notfalls gegen einen Angreifer zu wehren. Doch am Gürtel unter seiner Tunika befanden sich drei kleine Lederbeutel mit raffinierten Pülverchen, jedes auf seine Weise wirksamer als blanker Stahl.

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