Die unsichtbare Pyramide
der einohrige Kerkermeister von Zennor Quoit, klagte nie über das Leben in seinem unterirdischen Reich. Früher hatte er im Schwarzen Heer gedient, war aber wegen seiner ausgefallenen Gewohnheiten unangenehm aufgefallen. Selbst die hartgesottensten Recken mochten es nicht besonders, wenn jemand in ihrer Mitte Ratten, Katzen und anderes Getier zu Tode quälte, um sie nachher in rohem Zustand zu verspeisen. Wer sich nicht eingliedern konnte, wurde von Molog aus dem Kampfverband ausgegliedert – üblicherweise durch Enthauptung. Der Kriegslord hatte sich jedoch die sadistischen Neigungen des massigen Soldaten zunutze gemacht und ihm kurzerhand die Aufsicht über seinen Kerker und die Folterkammer anvertraut. Hier war Hungrold in seinem Element.
Als er aus dem Verlies des neuen Gefangenen ein lautes Plätschern hörte, mochte er nur widerwillig den Verzehr seiner Beute, einer ausgesprochen fetten Ratte, unterbrechen. Hungrold grunzte. Seine Faust donnerte auf den Tisch. Erst hatte er den angeblichen Besucher des Herrn Molog belauschen müssen und kein einziges Wort von seinem unverständlichen Gemurmel verstanden und nun das! Was stellte die Braunhaut jetzt wieder an? Dem Geräusch nach hatte er einen Zuber mit Wasser ausgeschüttet. Hungrold stutzte. In dem Kerkerloch gab es, abgesehen vom Exkrementeneimer, überhaupt keinen Bottich, dessen Inhalt genug hergab, um solchen Lärm zu verursachen. Hungrold stöhnte.
Mürrisch ließ er die Reste der Ratte über dem Tisch fallen und stemmte sich vom Stuhl hoch. Seine Körperfülle wirkte auf die meisten Gefangenen hinreichend erschreckend, um ihnen den Trotz auszutreiben. Möglicherweise waren zu diesem Zweck bei dem Neuzugang noch ein paar unterstützende Maßnahmen vonnöten. Hungrold kam in Fahrt.
Mit Mühe brachte er seine Massen vor der Kerkertür zum Stehen und öffnete die kleine Klappe, die ihm schon viele vergnügliche Einblicke verschafft hatte. Seine Schweinsäuglein stierten durch das Loch. Hungrold erschrak.
Hastig nestelte er an seinem großen Eisenring den passenden Schlüssel hervor, bohrte ihn ins Schloss und öffnete mit einem Ruck die Tür. Ungläubig starrte der Fettwanst in das kahle, seltsam fischig riechende Verlies. Ein kleines Rinnsal floss, einige Strohhalme mit sich tragend, um seine Füße herum. Vom Gefangenen fehlte jede Spur. Dafür zappelte am Zellenboden ein großer, mit einer Schwertnase ausgestatteter Fisch.
Hungrold schrie.
Als Trevir in dem Schatten zwischen Burgfried und Haus erschien, war er buchstäblich wie aus dem Wasser gezogen. Zu seinen Füßen schimmerte die Dokumentenröhre. Er bückte sich, hob sie vom Boden auf und klemmte sie am Gürtel unter seiner Tunika fest. Kauernd reckte er den Hals und spähte um die Hausecke in den Innenhof, der im Licht vieler Fackeln lag. Zu seinem Leidwesen leuchtete auch er, Trevir, noch wie ein glühendes Stück Eisen – nur eben blau. Er musste so schnell wie möglich fort von hier. Ob ihm so ein Sprung gleich noch einmal glücken würde? Der entflohene Häftling wandte sich zum Haus um – in dieser Richtung vermutete er den Wald – und konzentrierte sich auf Aluuins Stab.
Bald schien sich das Mauerwerk in eine Wolke zu verwandeln. Trevir vermochte zunächst jedoch nichts anderes als wirbelnde Schwaden zu erkennen. Er schloss die Augen. Allmählich tauchten aus dem grauen Brodem Stämme auf. Bäume! Während seine Füße sich keinen Fingerbreit vom Fleck bewegten, tastete sich sein Geist vorwärts. Als säße er auf dem Rücken eines Vogels, schien er in den Wald hineinzufliegen. Die stillen Riesen rasten an ihm vorbei. Plötzlich endete der Gedankenflug – direkt über dem Stab.
Trevir versuchte sich an seine bisherigen »Hüpfer« zu erinnern. Was hatte er getan? Doch eigentlich nicht mehr, als sich an den anderen Ort zu wünschen und den ersten Schritt zu wagen. Innerlich wappnete er sich gegen die unangenehmen Nebenwirkungen, holte tief Luft, setzte – nur mental, versteht sich – zum Sprung an, bewegte seinen linken Fuß nach vorn und…
Diesmal hatte das Ziehen in den Muskeln nicht mehr so wehgetan. War der Versuch etwa gescheitert? Sicherheitshalber öffnete Trevir zunächst nur ein Auge. Erleichtert atmete er auf. Über ihm ragten in zwar sternenklarer, aber wegen des Neumonds gleichwohl finsteren Nacht dunkle Stämme auf. Er war tatsächlich im Wald gelandet.
Da Trevir davon ausgehen musste, verfolgt zu werden, bahnte er sich mehr schlecht als recht einen Weg
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