Die unsichtbare Sonne
Kenntnisse zu erweitern, sondern hatten inzwischen fast alles vergessen, was die ersten Siedler gewußt haben mußten.
»Ausgezeichnet«, antwortete Adzel. »Ich werde Captain Padrick erklären, daß es sich dabei um einen harmlosen Talisman handelt. Ich muß ihn ohnehin beruhigen, glaube ich. Viel Glück, David.«
Falkayn ging in den Salon zurück und folgte dem Diener, der ihn durch die langen Gänge führte. Dabei begegneten sie zahlreichen Höflingen in bunten Roben, Händlern, Soldaten, Beamten, Pflanzern und sogar einem Handelsherrn aus dem warmen Land unter der Sonne, der hier vor Kälte zitterte, obwohl er einen warmen Pelz trug. Falkayn starrte sie neugierig an, denn bisher hatte er kaum Gelegenheit gehabt, Bewohner verschiedener Gegenden des Reiches zu sehen.
Am Eingang des Thronsaales hielten vier Ershoka in voller Rüstung Wache. Rechts und links von ihnen standen jeweils drei mit langen Bogen bewaffnete Eingeborene – Soldaten des Klans Tirut. Falkayn war davon überzeugt, daß die Bogenschützen erst seit der Eroberung der Stadt Rangakora hierherbeordert worden waren. Andererseits war das Mißtrauen des Kaisers verständlich, nachdem sich herausgestellt hatte, daß er nicht einmal seinem eigenen Sicherheitsdienst trauen konnte.
Trotzdem schien Jadhach III. an einer Art Paranoia zu leiden, denn statt sofort auf Falkayns Angebot einzugehen, hatte er seinen Besucher eine Woche lang hingehalten. Da feststand, daß ihm die Annahme des Angebots nur Vorteile bringen würde – jedenfalls hatte er selbst nie von etwaigen Nachteilen gesprochen –, ließ diese Haltung auf eine übertriebene Xenophobie schließen. Aber was war dagegen zu unternehmen?
Falkayn schlug die Vorhänge zur Seite und betrat den Thronsaal.
Jadhach III. begrüßte seinen Besucher mit einem kurzen Kopfnicken. Falkayn hielt den vorgeschriebenen Abstand von sieben Schritten genau ein (vermutlich eine Sicherheitsmaßnahme, damit die Ershoka neben dem Thron eingreifen konnten, bevor ein Attentäter den Kaiser erreichte) und verbeugte sich. »Wo ist Ihr Begleiter?« fragte der Kaiser scharf. Er war noch verhältnismäßig jung, aber unter der safrangelben Robe verbarg sich bereits eine beträchtliche Leibesfülle. In der rechten Hand hielt er ein mit Juwelen besetztes Zepter, das notfalls als Wurfspeer dienen konnte.
»Ein Offizier Ihrer Leibwache hat sich als Führer durch die Hauptstadt angeboten, Edelster«, erklärte Falkayn ihm. »Da wir nicht beide gleichzeitig abwesend sein wollten …«
»Welcher Offizier?« Jadhach III. beugte sich nach vorn. Die Ershoka neben ihm legten die Hände an ihre Schwerter. Die übrigen Anwesenden – Offiziere, Schreiber, Ratgeber, Magier und einige jüngere Prinzen, die in der Kunst des Regierens unterwiesen werden sollten, drängten sich heran. Ihre Augen schienen in der düsteren Beleuchtung zu glühen.
»Hugh Padrick, Edelster«, antwortete Falkayn erstaunt.
»Ak-krrr. Kommen sie bald wieder zurück?«
»Ich weiß es nicht. Edelster. Besteht Grund zur Eile?«
»Nein. Vielleicht nicht. Trotzdem mißfällt es mir.« Jadhach III. wandte sich an einen eingeborenen Offizier: »Lassen Sie die beiden suchen und zurückholen.« Dann sagte er zu einem Schreiber: »Hängen Sie eine Benachrichtigung aus, daß alle Ershoka ab sofort keine Verbindung mehr zu den Delegierten der Polesotechnischen Liga haben dürfen.«
»Edelster!« Der einzige andere Mensch in diesem Raum, der nicht als Wachtposten hier war, drängte sich durch die Höflinge nach vorn. Er war ein alter Mann, dessen Bart und schulterlange Haare fast weiß waren, aber er hielt sich trotzdem noch straff und aufrecht. Falkayn hatte ihn schon bei den anderen Audienzen gesehen: Harry Smit, Oberhaupt des Klans und Sprecher der Ershoka vor dem Kaiser. »Dagegen muß ich protestieren!«
Der Kaiser starrte ihn wütend an. »Was müssen Sie?« fragte er ungläubig.
Smit blieb dicht vor ihm stehen und sagte: »Edelster, auch die Ershoka, die zu Ihrer Leibwache gehören, sind über Bobert Thorns Ungehorsam bestürzt und erregt. Er ist nicht mehr einer der Unseren, und seine Anhänger können nicht darauf hoffen, wieder in den Klan aufgenommen zu werden. Wir bitten nur um die Erlaubnis, nach Rangakora marschieren zu dürfen, damit wir dort beweisen können, daß die Ershoka wie immer treu das Haus Deodakh unterstützen. Aber Sie mißtrauen uns, Edelster. Sie lassen uns unbeschäftigt, schicken uns Spione nach und haben sogar angeordnet, daß andere
Weitere Kostenlose Bücher