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Die unsterbliche Braut

Die unsterbliche Braut

Titel: Die unsterbliche Braut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aimée Carter
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überhaupt ein Nach-der-Schlacht geben würde.
    Diesen Gedanken ließ ich nicht zu. Henry musste überleben; eine andere Möglichkeit gab es nicht. Wenn Kronos ihn in der Kaverne nicht getötet hatte, würde er es auch jetzt nicht tun. Er würde keinen der Götter töten. Ich musste daran glauben, dass alles gut werden würde.
    In den Stunden vor der Wintersonnenwende versammelte sich der Rat, die Throne in einem Kreis aufgestellt, in den sich der schwarze und der weiße Diamantthron für Henry und mich nahtlos einfügten. Ich zögerte, meinen Platz einzunehmen – schließlich hatte ich nichts mit den Vorbereitungen zu tun gehabt und würde nicht mitkämpfen –, doch Henry bestand darauf.
    Bevor die Sitzung begann, hockte Persephone sich auf dieArmlehne am Thron unserer Mutter, als hätte sie das schon Tausende Male getan. Mit unergründlichem Blick betrachtete sie mich, und ich rutschte unruhig hin und her, als mir klar wurde, dass mein Thron wahrscheinlich ihr gehört hatte, als sie Königin gewesen war. Na toll.
    „Brüder und Schwestern, Söhne und Töchter“, setzte Walter an. Ernst blickte er im Saal umher, nahm sich Zeit, jedes Gesicht zu betrachten, und überging Calliopes Thron, als wäre er gar nicht dort. „Monatelang haben wir auf diese Nacht hingearbeitet, und heute ist es endlich so weit.“
    Unbewegt saß Henry neben mir, mit erhobenem Kinn und ausdruckslosem Blick. Unter seinen Augen lagen dunkle Ringe, so schlimm wie bei meiner Mutter im letzten Jahr ihres Lebens, und die Falten auf seinem Gesicht waren tiefer, als ich es je bei ihm gesehen hatte. Grauenvolle Angst durchströmte mich, und ich zwang mich, nicht an die Möglichkeit zu denken, dass er im Kampf fallen könnte. Ich hätte ihm mehr Zeit zum Schlafen geben sollen. Ich hätte darauf bestehen sollen, in einem anderen Zimmer zu schlafen, um ihn nicht zu stören. Ich hätte so viele Dinge tun sollen, die ich nicht getan hatte – Dinge, an die Ingrid und Persephone gedacht hätten.
    „Unser Feind ist stark, daran führt kein Weg vorbei“, fuhr Walter fort. „Doch wir haben ihn schon einmal geschlagen, und ich bin zuversichtlich, dass wir es wieder schaffen.“
    Henrys Mundwinkel zuckten. Walter log. Selbst ich wusste, dass ihre Chancen auf einen Sieg ohne Calliope gering waren, und sie war immer noch in einem Raum tief im Inneren des Palasts eingesperrt, weiterhin nicht bereit, mitzuhelfen. Was auch immer sie während des ersten Krieges getan hatte, war der Schlüssel zum Sieg gewesen. Ohne sie rechnete jeder mit einer Niederlage. Mir blieb nur die Hoffnung, dass die Ratsmitglieder nicht über ihre Grenzen hinausgehen würden.
    „Ich möchte einen Toast ausbringen“, erklärte Walter, und neben ihm machte Xander eine weit ausholende Geste. Weingläser erschienen vor jedem von uns, schwebten in der Luft. „Aufeuch alle hier, mit meiner größten Liebe und Zuneigung. Was auch immer heute Nacht geschieht, ihr sollt wissen, dass ich stolz bin auf jeden von euch. Wir sind eine Familie, und niemand von euch wird je vergessen sein.“
    Mir wurde übel, und nur mit größter Beherrschung schaffte ich es, mit den anderen eine Antwort zu murmeln und einen Schluck zu trinken. Sie bereiteten sich tatsächlich darauf vor, zu sterben. Vielleicht nicht alle von ihnen, doch allein die Möglichkeit erfüllte mich mit schwindelerregender Furcht. Wenn auch nur einer von ihnen nicht zurückkäme … Mit einer solchen Schuld könnte ich nicht leben.
    Danach sagte niemand mehr ein Wort. Alle saßen stumm da und beobachteten die Uhr, wie die Zeiger immer näher auf Mitternacht vorrückten, und ich starrte in die Gesichter um mich herum. Meine Mutter. Henry. Ava. James. Sie alle würden ihr Leben riskieren. Selbstsüchtig fragte ich mich, was mit mir geschehen würde, wenn keiner von ihnen überlebte. Würde ich im Palast zurückbleiben, ohne einen sicheren Weg, an die Oberfläche zurückzukehren, oder würde Kronos mich ausfindig machen und seinen Job zu Ende bringen? Wenn ich als Einzige übrig blieb, hoffte ich, er würde es tun.
    Kurz vor Mitternacht griff Henry nach meiner Hand. Seine Haut war warm und seine Handfläche im Gegensatz zu meiner trocken. Einen Moment lang wurde sein Griff fester, und ich erschauerte. Verabschiedete er sich gerade von mir?
    „Bitte komm zurück“, flüsterte ich, sodass nur er es hören konnte. Er antwortete mit einem knappen Nicken, so unmerklich, dass ich mich fragte, ob ich es mir eingebildet hatte, und ließ meine

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