Die unsterbliche Braut
…
„Wir können es schaffen“, sagte Ava. Ihre Augen waren gerötet. „James und Persephone und ich. Wir können es schaffen, solange wir uns nicht auch noch um dich Sorgen machen müssen. Bitte, Kate. Henry liebt dich. Gib ihm einen Grund, nach Hause zu kommen.“
Jedes bisschen Willenskraft, das ich noch besessen hatte, löste sich bei diesen Worten in Wohlgefallen auf, und wieder wischte ich mir mit meinen dreckigen Ärmeln über die Wangen. „Versprecht mir, dass ihr da wieder rauskommt.“
Keiner von beiden antwortete. James beugte sich zu mir herab, und zum ersten Mal seit Tagen wich ich nicht vor ihm zurück. Sanft drückte er mir die Lippen auf die Wange, und er musste es nicht aussprechen – ich wusste auch so, was es bedeutete.
Den Abschied.
Wie betäubt sah ich zu, wie sie im Felsen verschwanden, zuerst Ava und danach James, der sichergehen wollte, dass ich ihnen nicht folgte. Als sie fort waren, sackte ich auf dem Moos, auf dem ich eben noch gestanden hatte, zusammen. Ein Schluchzenentrang sich meiner Kehle, als sich das volle Gewicht meiner Hilflosigkeit und Trauer auf mich herabsenkte und mich zu einem Nichts zu zerquetschen schien.
Persephone würde das Tor öffnen, und sobald das geschehen war, würde Kronos sie alle töten. Und ich konnte nichts dagegen tun.
Ich wusste nicht, wie lange ich dort gesessen hatte, das Gesicht in den Händen verborgen, während mich Schluchzer um Schluchzer schüttelte. Mir schmerzte die Brust, mein gesamter Körper bebte, doch sosehr ich den anderen auch folgen wollte, ich konnte es nicht. Was auch immer geschah, am Ende würde Calliope siegen. Entweder, sie tötete mich, sobald ich aus der Wand hervortrat, oder Persephone befreite Kronos und Calliope tötete mich danach.
Doch langsam wurde meine Trauer von dem überwältigenden Bedürfnis verdrängt, zu sehen, was gerade geschah. Verzweifelt versuchte ich mich zu konzentrieren und meinen Geist in die Höhle hinter dem Felsen zu schicken, doch alles, was ich sah, war der schwarze Felsen vor mir.
Wieder und wieder versuchte ich es, bis mein Schluchzen zu einem frustrierten Stöhnen wurde. Nichts änderte sich. Warum hatte ich keine Probleme damit, es zu tun, wenn ich es überhaupt nicht vorhatte, konnte aber nicht mal Henrys Gesicht sehen, wenn das Leben meiner Familie auf dem Spiel stand?
„Hallo?“
Heftig zuckte ich zusammen. Halb rechnete ich damit, Calliope hätte sich hinter meinem Rücken angeschlichen, und rappelte mich hastig hoch – bereit, davonzurennen oder ihr die Nase zu brechen, was auch immer einfacher wäre. Stattdessen fand ich mich Auge in Auge mit einer sommersprossigen Rothaarigen wieder, die ein Kaninchen im Arm hielt.
„Wer bist du?“, fragte ich, und als sie einen Schritt auf mich zutrat, wich ich zurück.
„Ingrid“, antwortete sie. „Und wer bist du?“
Ich zwang mich, mich zu entspannen. Die Wiese musste zu irgendjemandem gehören. Die meisten anderen in der Unterwelt hatten uns gemieden oder uns gar nicht erst gesehen, und wenn wir mit ihnen gesprochen hatten, war es meist nur kurz gewesen. Normalerweise hatte Ava sich darum gekümmert. Hier war also noch eine, doch diesmal war ich allein.
„Ich bin Kate“, erwiderte ich. „Tut mir leid, dass ich hier eingedrungen bin. Ich warte auf …“
„James und Ava“, unterbrach sie mich und wirkte ganz und gar nicht überrascht. „Ich weiß. Ich hab euch gesehen.“
Verwirrt blinzelte ich. „Woher kennst du ihre Namen?“ War sie nah genug gewesen, um unsere Gespräche zu belauschen? Ich wusste nicht mehr, ob ich sie beim Namen genannt hatte, während wir gestritten hatten.
„Weil Henry sie mir vorgestellt hat.“ Liebevoll kraulte sie das Kaninchen zwischen den Ohren und setzte es sanft zu Boden. Es hoppelte davon, um sich zu einer kleinen Ansammlung weiterer Tiere zu gesellen, die darauf zu warten schienen, dass Ingrid zu ihnen zurückkam.
„Henry?“ Nervös zupfte ich an meinen Ärmeln. „Woher … woher kennst du Henry?“
„Na daher, woher du ihn auch kennst“, antwortete sie fröhlich. „Du bist seine Frau, stimmt’s? Kate? Du bist diejenige, von der Calliope geredet hat.“
Mein Herz setzte einen Schlag aus. „Calliope war hier? Wann?“
„Vor Ewigkeiten.“ Ingrid zuckte mit den Schultern. „Dann ist sie einfach abgehauen, obwohl sie das nicht durfte. Henry hat’s verboten.“
Wieder Henry. Wie konnte sie Henry kennen? Hatte er ein Urteil für sie gefällt? Doch das war keine Erklärung,
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