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Die Unsterblichen: Roman (German Edition)

Die Unsterblichen: Roman (German Edition)

Titel: Die Unsterblichen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Drew Magary
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versüßen. Ich freute mich sehr darüber. Sobald wir Platz genommen hatten, konnte ich mich nicht länger zurückhalten.
    »Ich lasse mich deaktivieren.«
    »Was?«
    »Ich lasse mich deaktivieren. Am Montag bekomme ich die letzten Spritzen.«
    »Dann stimmt es also?«
    »Soweit ich weiß, ja.«
    »Verdammt.«
    Er saß da. Sein Gesichtsausdruck war undurchdringlich. Ich wusste nicht im Geringsten, was er dachte.
    »Wie bist du dazu gekommen?«, fragte er.
    »Ich kenne da jemanden. Es war gar nicht so schwer. Möchtest du es auch machen lassen? Der Arzt hat zwar gesagt, dass er niemanden über fünfunddreißig behandelt, aber ich wette, ich könnte ihn trotzdem überreden oder jemand anderen finden, der es macht.«
    »Er behandelt niemanden über fünfunddreißig? Ist das Leben nicht ungerecht? Ich nehme an, ich gehöre nun zu der Generation, die wohl Pech gehabt hat. Das haben sie jedenfalls in diesem Nachrichtenbeitrag gesagt. ‚Die Letzten, die sterben werden‘, so haben sie uns genannt. Es geht uns so wie den Leuten, die gestorben sind, gerade als der Fernseher erfunden wurde. Das muss doch furchtbar ärgerlich gewesen sein. Da sitzt du dein Leben lang neben einem riesigen Radio, und wenn es schließlich so weit ist, dass neben den Geräuschen auch die Bilder dazu geliefert werden, dann bist du auf einmal mausetot. Ziemlich unfair.«
    »Wie ich schon sagte, ich könnte es trotzdem für dich organisieren.«
    »Wie viel hat es gekostet?«
    »Siebentausend Mäuse.«
    »Ich weiß nicht, das scheint viel zu sein.«
    »Es geht hier um die ewige Jugend, Dad, und nicht um ein Stück Kaugummi.«
    »Ja, da hast du wohl recht. Es ist bloß … ach, ich weiß auch nicht. Schau her, ich will dich nicht demoralisieren. Denn ich bin so glücklich, wie man nur sein kann, dass du etwas gefunden hast, dass dich für immer und ewig gesund hält. Das bin ich wirklich. Es beruhigt mich zu wissen, dass du niemals alt werden und kaputte Knie bekommen und es nicht einmal mehr schaffen wirst, einen Golfball mehr als siebzig Meter weit zu schlagen. Doch jeder Tag, den ich hier unten verbringe, ist ein weiterer Tag, an dem ich von deiner Mutter getrennt bin.«
    Wir saßen einen Augenblick still da. Meine Mutter starb, als ich fünfzehn Jahre alt war, kurz nachdem wir aus Buffalo fortgezogen waren. Sie hatte Krebs. Zwei Jahre lang unterzog sie sich einer Chemotherapie und Bestrahlungen. Sie alterte vierzig Jahre innerhalb eines Wimpernschlags. Ihre Haare gingen aus. Sie schnitten immer wieder Teile aus ihr heraus. Und sie blieb am Leben, weil sie wusste, dass dies das einzige Leben war, das sie jemals haben würde. Keine Wiedergeburt. Kein Leben nach dem Tod. Nur das hier. Das ist alles, was man bekommt. Als der Krebs schließlich jede Zelle ihres Körpers befallen hatte, wog sie nur noch fünfundvierzig Kilogramm und sah aus wie eine Mumie, die man mit Öl einbalsamiert hatte. Bloß ein Skelett mit einem Fetzen Haut, den man über die Knochen gespannt hatte. Nichts an ihrem Tod war positiv.
    »Glaubst du wirklich, dass du sie wiedersehen wirst?«, fragte ich ihn.
    »Oh, davon bin ich überzeugt.«
    »Aber sie wird doch immer dort sein. Warum also die nächsten Jahre hier herumsitzen und warten? Warum nutzt du die Zeit nicht, die dir noch bleibt?«
    »Aber ich nutze sie doch!«
    Er deutete auf die Zugfahrpläne. Mein Vater sammelt das Zeug in großem Umfang. Fünfmal im Jahr fährt er in irgendeinen anderen Staat und besucht einen Fahrplan-Kongress. Bei diesen Veranstaltungen ist er immer der Einzige, der keinen Overall oder ein Fruit-of-the-Loom-T-Shirt trägt.
    »Ich meine ja nur, dass es Orte und Menschen gibt, die du noch nicht kennst. Du findest vielleicht eine neue Leidenschaft, zum Beispiel alte Boote oder so was in der Art.«
    »Alte Boote? Warum sollten mir alte Boote gefallen? Ich habe die Männer kennengelernt, die auf so etwas abfahren. Sie sind alle total geschmacklos.«
    »Das war doch bloß ein Beispiel, Dad. Du kannst alles Mögliche machen. Ich glaube bloß nicht, dass es sinnvoll ist, hier zu sitzen und auf das Ende zu warten.«
    Diese Aussage machte ihn wütend. »Ich warte nicht auf das Ende, John. Ich bin hier nicht in einem Altenheim. Ich habe ein Leben, und ich bin froh, dass ich es habe. Ich bin kein trauriger alter Mann, bei dem man gelegentlich einmal vorbeischauen sollte, als wäre er eine Zimmerpflanze. Aber am Ende habe ich eine Verabredung mit deiner Mutter, und ich möchte es nicht länger hinauszögern als

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