Die Unsterblichen: Roman (German Edition)
nach einem Arzt suche, der es durchführen kann. Ich bin so froh. Das wird einfach unglaublich. Außer … Du bist dir doch sicher, dass dieser Typ seriös ist, oder nicht?«
»Ja.«
»Denn du kennst ja die Geschichten über all die Quacksalber da draußen, nicht wahr? Wie kannst du dir sicher sein, dass dir dieser Typ nicht einfach Spülmittel injiziert? Weißt du noch, diese Frau in Queens, der das letzte Woche passiert ist?«
»Ich bin mir sicher, dass er mir kein Spülmittel injizieren wird. Vor allem deshalb, weil dieser Arzt kein Geschirr besitzt, dass er spülen müsste.«
»Okay, dann warte ich, bis du die Spritzen verpasst bekommen hast. Und wenn du dann nicht an Ort und Stelle umkippst, rufe ich ihn definitiv an. Ich bin so aufgeregt! Ich werde für immer und ewig siebenundzwanzig bleiben. Und ich muss nicht nach Sao Paolo fliegen, um es machen zu lassen!«
Sie sprang auf und lief in Richtung Küche, doch dann blieb sie auf halbem Weg wie angewurzelt stehen.
»O mein Gott«, sagte sie. »Weißt du, was mir gerade eingefallen ist? Ich werde für alle Ewigkeit meine Periode bekommen. Das ist echt beschissen!«
»Das scheint mir ein ziemlich unwichtiger Einwand zu sein.«
»Und wir können für immer und ewig zusammen wohnen. Möchtest du einen Hundert-Jahre-Vertrag aufsetzen?«
»Nein.«
»Selber schuld. Aber ich werde bis ins Jahr fünftausend abfeiern!«
Dann füllte sie ihr Glas bis zum Rand mit Shiraz und tanzte auf dem Sofa.
GEÄNDERT AM:
13.06.2019, 10:02 Uhr
»Tortenmischungen sind eine der größten Errungenschaften der Lebensmittelindustrie der letzten sechzig Jahre«
Das ist die Art von Aussage, die man zu hören bekommt, wenn man sich eine bestimmte Zeitlang mit meinem Vater unterhält. Ich will damit nicht andeuten, dass er gern vom Thema abschweift, denn das würde bedeuten, dass es im Allgemeinen ein bestimmtes Thema gibt, von dem er abschweifen könnte. Ich bin gern mit ihm zusammen, weil er nie eine Frage mit »Ich weiß nicht« beantwortet. Entweder weiß er die Antwort, oder er redet so lange um den heißen Brei herum, bis man davon überzeugt ist, dass er sie weiß. Das ist eine Fähigkeit, die ich noch lernen muss.
Mein Deaktivierungsprozess wird kommenden Montag abgeschlossen werden. Ich sollte wohl aufgeregt sein, da mein neuerdings auf unbestimmte Zeit verlängertes Leben in Kürze beginnen wird, doch in Wahrheit werde ich immer ungeduldiger, je näher der Zeitpunkt rückt. In den letzten Tagen habe ich ausschließlich Bevölkerungszahlen berechnet und über den Tod nachgedacht – über meinen eigenen und über den der anderen Menschen. Ich denke nicht gern über den Tod nach, was einer der Gründe ist, warum ich die Deaktivierung überhaupt in Betracht gezogen habe. Nun scheine ich davon besessen zu sein. Die Ironie dahinter macht mich wahnsinnig.
Die ständige Grübelei begann mich zu belasten. Ich war es leid, ständig mit mir selbst zu diskutieren. Ich brauchte Ablenkung. Jemand anderen als Katy. Jedes Mal, wenn ich mit ihr über die Deaktivierung sprechen möchte, beginnt sie vor Aufregung zu kreischen und macht einen riesigen Aufstand. Sie hat eine fabelhafte Einstellung dazu, aber ich musste ein wenig tiefer gehen. Außerdem hatte ich ohnehin bereits geplant, meinen Vater an diesem Wochenende zu besuchen, und ich wäre geplatzt, hätte ich ihm nicht alles gebeichtet.
Mein Vater lebt seit fünfzehn Jahren im Nordwesten von Connecticut, in einer dieser Städte, in die man mit der Metro-North fahren kann. Man steigt in Bridgeport um und fährt dann die ganze Strecke bis nach Waterbury. Spätestens hier fühlt man sich, als wäre man in einer atomverseuchten Einöde gelandet. In den Städten um Waterbury leben ausschließlich alte Leute und jüngere, die genügend LSD eingeworfen haben, um sich ihre Gehirne ein für allemal zu versauen. Wenn ich mehr als fünf Tage in dieser Gegend verbringe, muss ich meine gesamte Kraft aufwenden, damit ich mir nicht selbst die Haut vom Körper reiße. Wenn man einmal in diesem Teil des Staates angekommen ist, dann hat man nichts mehr zu tun, außer zu essen und zu trinken. Und genau so verbrachte mein alter Herr seinen Ruhestand: mit essen und trinken.
Er holte mich am Bahnhof von Waterbury ab und fuhr mich nach Hause. Im Haus warteten ein kaltes Bier und gemischte Nüsse auf uns. Es war seine Art der Begrüßung, so wie es meine Mutter damals vor langer Zeit vielleicht gemacht hätte – seine Art, mir meine Ankunft etwas zu
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