Die Unsterblichen: Roman (German Edition)
Rente gehen. Warum solltest du mit fünfundsechzig deinen Job an den Nagel hängen können, wenn du noch weitere fünfhundert Jahre lang leben wirst? Hast du daran schon einmal gedacht?«
Das hatte ich, doch ich hatte den Gedanken entschlossen unter Dinge, über die ich lieber nicht nachdenke abgelegt. »Jetzt habe ich mehr Zeit, mir darüber Gedanken zu machen, was ich wirklich machen will«, erklärte ich ihr. »Ich steuere jetzt nicht mehr auf ein Ende zu, das unweigerlich mit fünfundsechzig kommen wird. Ich muss jetzt nicht mehr unbedingt bis dahin alles Geld gespart haben und so.«
»Mann, mir ist gerade noch etwas eingefallen. Du weißt schon, dass wir vielleicht noch fünfhundert Jahre leben und die Buffalo Bills trotzdem nie den Superbowl gewinnen werden, oder?«
»Hältst du jetzt vielleicht mal den Mund und hörst auf mit der Miesmacherei?«
»Okay, okay. Du hast ja recht. Schluss mit der Schwarzmalerei. Heute ist dein Deaktivierungstag. Und in ein paar Wochen werden wir meinen feiern. Jawohl, das werden wir!«
Um sechs Uhr morgens stolperten wir schließlich nach Hause, und bevor ich ins Bett ging, nahm ich noch eine Dusche. Ich wusch mir die Nacht vom Körper, und als ich hinter dem Vorhang hervortrat, sah ich relativ frisch aus. Ich betrachtete mein Spiegelbild: braune Haare, ein rundes Gesicht, hängende Schultern, zwei kleine Lachfältchen, die meinen Mund einklammerten. Ein kaum sichtbares Muttermal unter meinem Auge. Ein Dreitagebart, der sich standhaft weigerte, zu so etwas wie einem normalen Bart zu werden. Ich machte ein Foto von mir. So sehe ich derzeit aus. So werde ich aussehen, wenn ich sterbe.
Alles Gute zum Deaktivierungstag – fürwahr.
GEÄNDERT AM:
21.06.2019, 15:45 Uhr
»Ein konservatives Manifest zur Legalisierung der Deaktivierung«
Mein Freund Jeff hat mir das hier vor einer Stunde geschickt:
Ich weiß nicht, ob du Allan Atkins kürzlich einmal im Fernsehen gesehen hast, aber er scheint immer mehr den Verstand zu verlieren. Ich stehe politisch gesehen weder auf der einen noch auf der anderen Seite – obwohl ich der Meinung bin, dass vieles, was er sagt, absolut nachvollziehbar ist –, aber gestern hat er eine Hetzrede abgelassen, die schon ziemlich verrückt war. Hier ist eine Niederschrift für dich:
»Ich erkenne dieses Land nicht mehr wieder. Wie kann die Regierung das, was sie gerade tut, noch rechtfertigen? Wie? Wie ist das möglich? Sagen Sie mir, an welcher Stelle in der Verfassung geschrieben steht, dass das Heilmittel zur Deaktivierung des Alterns verboten gehört? Sie können es mir nicht sagen, denn es steht nicht in der Verfassung. Das tut es einfach nicht. Wenn die Sammelklage gegen die Regierung jemals vor dem Obersten Gerichtshof verhandelt wird – und das wird sie, das kann ich Ihnen versichern –, dann wird sich das wahre Gesicht dieses Gerichts und der Regierung offenbaren, die so viele ihrer Richter dort etabliert hat. Denn jeder Richter, der etwas taugt, wird sich das Verbot ansehen und erkennen, dass es einem Verbrechen gleichkommt. Einem Verbrechen gegen dieses Land und seine Bürger. Und jeder Richter, der dieses Verbot ausspricht, ist ein faschistischer, aktivistischer Richter, der uns allen seinen individuellen Glauben aufzwingen möchte.
Dieses Verbot ist liberales Denken in seiner allerschlimmsten Form. Sie wollen uns nicht die Freiheit gewähren, selbst eine Entscheidung zu treffen. Sie wollen, dass wir alle leiden . Das ist unmenschlich. Es reicht ihnen nicht, bloß Amerika zu hassen. Nun hassen sie auch die Idee, menschlich zu sein. Menschen sind böse. ‚Oh, Ihr könnt doch nicht ewig leben. Ihr würdet zu viel Kohlenstoff ausstoßen! Ihr würdet zu viel Müll wegwerfen! Eine Eule könnte dadurch sterben!‘ Es ist verrückt. Ihrer Ansicht nach sind wir – wir Menschen – eine furchtbare Pest, die über diesen Planeten hereingebrochen ist. Wir verdienen es nicht, gemeinsam mit den vielen kleinen, unschuldigen Tierchen hier zu leben – Tiere, die einander töten und vergewaltigen , nur damit Sie es wissen. Ihrer Meinung nach ist jede unserer Handlungen, jedes Gebäude, das wir bauen, jede Straße, die wir errichten, eine Beleidigung der unberührten Erde, wie sie in ihrer Vorstellung existiert. Auf Fortschritt reagieren sie allergisch. Das ist eine Krankheit. Eine wahrhaftige Krankheit. Und nun nimmt sie uns buchstäblich Jahre unseres Lebens, deren Ursprung wir gerade entdeckt haben.
Ich bin ein Konservativer, und das bedeutet,
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