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Die Unsterblichen: Roman (German Edition)

Die Unsterblichen: Roman (German Edition)

Titel: Die Unsterblichen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ketil Bjørnstad
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erzittern von all dem Läuten auf dem Gang, in der Küche, in den Zimmern und im Bad, das Ganze begleitet von einem hektischen Blinken roter und weißer Lampen. Thomas Brenner erschrak jedesmal von neuem. Und jetzt läutete es. Auch Leila und Hussein zuckten bei dem Lärm und der Lichtorgel zusammen.
    »Das ist nur das Telefon«, beruhigte Thomas. Der Vater griff nach dem Hörer und rief: »Hallo? Wer ist da?« Es war eine von Bergljots wenigen Freundinnen. »Nein«, sagte der Vater. »Das paßt jetzt nicht. Sie muß ins Pflegeheim. Was? Nein. Hörst du nicht? Pflegeheim! sagte ich.« Er schrie noch lauter. »Nein, nicht zu Besuch! Verstehst du nicht? Jetzt. Ins Pflegeheim!«
    Die Mutter stand schon auf wackligen Beinen, machte aber eine ungeduldige Handbewegung und wollte den Hörer. »Gerda, bist du es? Ja, ich muß ins Pflegeheim. Wie lange ich dort bleiben werde? Bis ich sterbe, Gerda.« Sie gab Gordon den Hörer zurück. Er starrte sie hinter den Brillengläsern mit großen Augen an.
    Bergljot wurde in den Rollstuhl gesetzt, der schon seit Monaten im Brenner-Haus bereit gestanden hatte, aber nie benutzt worden war, weil Gordon darauf bestand, daß sie neben ihm im Lehnstuhl saß. Es war Sache des Pflegedienstes, sie zur Toilette zu bringen oder die Windeln zu wechseln, wie auch bei ihm mehrmals täglich die Windel gewechselt werden mußte, weil er es nie rechtzeitig auf die Toilette schaffte, auch wenn er es jedesmal versuchte.
     
     
    Wie würdelos alles geworden war. Ihre schönsten Jahre, die die Eltern in ihren Siebzigerjahren gehabt hatten, waren jetzt Vergangenheit. Damals stand die Zeit still. Sie hatten so glücklich gelebt, waren mit dem Auto in der Stadt unterwegs gewesen, um sich in ihren bevorzugten Geschäften all die Kleinigkeiten zu kaufen, die sie für unentbehrlich hielten, waren hinein ins Sörkedalen und Maridalen gefahren, wo sie ihre kleinen Spaziergänge machten, hatten oben im Frognerseteren gesessen, den Vögeln zugehört und Apfelkuchen gegessen, waren mit Tulla und Kaare ins Theater gegangen und auf Kreuzfahrt in die Karibik. Ja, die Zeit war für sie stillgestanden, dachte Thomas. Er hoffte, daß das auch Elisabeth und er erleben durften, wenn sie in dem Alter waren. Nachdem Elisabeth demnächst sechzig Jahre wurde, würden auch sie in eine neue Phase eintreten.
    »Ich komme morgen und besuche dich!« rief Gordon. Er hatte versucht, aufzustehen, war aber in den Sessel zurückgesunken.
    »Mach dir keine Mühe mit einen Besuch«, sagte Bergljot, »wir können doch am Telefon miteinander reden.« Thomas Brenner fiel auf, wie mütterlich sie seit einigen Jahren mit ihrem Mann redete. Sie hatte es immer besser verstanden, ihrer beider Situation einzuschätzen, während Gordon derjenige war, der die Umstände nicht akzeptieren konnte, weder die nachlassende Gesundheit noch all die fehlgeschlagenen Investitionen. Für Thomas war es erschreckend zu beobachten, wie der Vater Jahr für Jahr zunehmend die Kontrolle über sein Leben verloren hatte. Er war so stolz gewesen, als er das erste Mal seinen Altersplan vorstellte; daß Bergljot und er in die untere Etage ziehen würden, wo für sie alles altersgerecht eingerichtet worden war.
    Wie abhängig Gordon Brenner von seiner Frau war, begriff Thomas erstmals bei einem Familienausflug zu einer Hütte in der Hardangervidda. Er war damals noch ein Kind. Mit dem alten Ford waren sie hinaufgefahren bis zum Parkplatz. Bereits im Auto war Bergljot klargeworden, daß der Fußmarsch zur Hütte viel länger sein würde, als Gordon ursprünglich gesagt hatte. Das war eine der seltenen Gelegenheiten, bei denen sie wütend geworden war. Thomas war damals noch zu klein gewesen, um völlig zu verstehen, warum sich die Eltern eigentlich stritten, denn während des Streits kam eine Menge anderer Dinge zutage. Die Kinder hatten mäuschenstill auf der Rückbank gesessen, während das Gespräch auf den Vordersitzen immer hitziger wurde. Thomas schnappte auf, daß Bergljot ihren Mann beschuldigte, sie mehrmals angelogen zu haben. Auch von einer anderen Frau war die Rede. Er hörte das Wort untreu, und er stutzte, weil er nicht wußte, was es bedeutete.
    Bergljot hatte jedenfalls Gordon mit ihren Vorwürfen derart zermürbt, daß der Vater schließlich kein Wort mehr zur Verteidigung vorbrachte. Die Mutter war so außer sich gewesen, daß sie einfach mit Vigdis und Johan an der Hand zur Hütte aufbrach. Thomas wußte nicht mehr, warum er beim Vater blieb, der fünfzig

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