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Die Unsterblichen: Roman (German Edition)

Die Unsterblichen: Roman (German Edition)

Titel: Die Unsterblichen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ketil Bjørnstad
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Vaters. Mit der Mutter war es leichter. Sie hatte keine Kräfte mehr.
    Er ging zur Eingangstür und öffnete. Eine Frau im dicken Wintermantel stand mit einem pakistanischen Fahrer wartend vor ihm. Er gab ihnen die Hand. Sie war noch kalt nach der Berührung mit der Mutter. »Wir kommenvom Pflegeheim«, sagte die türkisch aussehende Frau im falschen Pelz und stellte sich als Leila vor. Der Mann hieß Hussein. »Ich weiß«, sagte Thomas Brenner. »Sie werden erwartet. Aber meine Mutter hat ihre Sachen noch nicht gepackt.«
    Er ging voraus, und es herrschte eine verständnisvolle Stimmung, als sie die riesigen Zimmer durchschritten. Verfallener Luxus, Möbel, die vor dreißig Jahren hätten aufpoliert werden müssen. Familienporträts an den Wänden, die längst ihre Bedeutung verloren hatten. Thomas wußte nicht einmal, wer sie waren.
    »So eine Aussicht«, sagte Leila. Hussein nickte nachdrücklich. Thomas merkte, daß sie ein Team waren.
    »Mutter hat es hier gut gehabt«, sagte er.
    Sie gingen in den Erker, wo Gordon Brenner die Neuankömmlinge sofort mißtrauisch musterte. Bergljot schaute gar nicht auf. Sie starrte vor sich hin, als würde sie das, was hier passierte, nichts angehen. In einem fast nicht nachvollziehbaren Maß hatte sie es all die Jahre verstanden, alle Probleme auf einfache Weise zu lösen. Sie hatte Gordons ungeduldiges Verhalten gedämpft. Sie war pragmatisch, aber bestimmt unfähigen Lehrern begegnet, wenn die meinten, die Brenner-Kinder machten zuwenig Hausaufgaben. Sie hatte in all den Jahren eine Pufferzone gebildet zwischen ihnen und der Welt. Ja, dachte Thomas Brenner, sie hatte alles für die Familie geopfert. Und selbst jetzt, in dieser äußerst schwierigen Situation, wollte sie nichts für sich. Davon war er überzeugt. Jetzt wollte sie nur, daß alles mit möglichst wenig Aufwand ablief. Leila wollte sich verantwortlich zeigen. Sie faßte Bergljots Hand, die schlaff und verwelkt zwischen ihren Oberschenkeln lag.
    »Ich heiße Leila«, sagte sie. »Ich komme vom Pflegeheim.«
    »Bergljot Brenner«, sagte die Mutter freundlich. Thomas kannte niemanden, zu dem die Mutter nicht spontan offen war. Im Gegensatz zum Vater, der trotz seiner philanthropischen Gesinnung oft mit Menschen, die sich nicht ordentlich verhielten, in Streit geriet. Jetzt saß er mit einem entsprechend feindlichen Gesichtsausdruck da. Thomas Brenner schaute die Eltern an und überlegte, wann die beiden aufgehört hatten, bei Besuchern aufzustehen. Der Vater hatte ja noch Kraft. War es, weil er mit Bergljot solidarisch sein wollte? »Gordon Brenner«, sagte er unwirsch. Leila und Hussein wiederholten ihre Namen.
    »Was will Frau Brenner in das Pflegeheim mitnehmen?« fragte Leila und blickte sich um.
    »Sie hat nicht gepackt«, sagte Thomas Brenner entschuldigend. »Geben Sie mir ein paar Minuten. Was brauchst du, Mutter?«
    »Es ist doch nur vorübergehend«, rief der Vater. »Hole ihr ein Nachthemd, die Zahnbürste und eine zweite Bluse!«
    Laila zuckte bei seinem Stimmvolumen zusammen, bei der plötzlichen Aggressivität, die nicht zu seiner sonstigen Ausstrahlung paßte. Auf dieses Alter war er nicht vorbereitet gewesen. Er hatte bisher glücklich und bevorzugt gelebt, bis hoch in seine Siebzigerjahre, hatte in keiner Weise daran gedacht, daß ihn der Körper im Stich lassen könnte, und Bergljot noch weniger. Wenn Thomas zurückdachte, schien es eine Ewigkeit her, seit Gordon Brenner zu arbeiten aufgehört hatte. Er übte keinen Druck auf Thomas aus, obwohl er einmal spätabends nach viel Rotwein auf seine höfliche Weise sein Bedauern darüber ausgedrückt hatte, daß weder er noch Johan in seine Fußstapfen treten wollten. Dabei hatte Johan die technische Hochschule absolviert, und der Vater hatte sich kurzzeitig den Sohn als Nachfolger vorgestellt. Aber das zu bestimmen, hatte erkeinerlei Befugnis. Gordon Brenner war ein sogenannter leitender Angestellter, der beteiligt war, wenn der Betrieb gut lief, sonst aber keinerlei Verfügungsgewalt besaß. Thomas Brenner war schockiert gewesen, als er das entdeckt hatte, der Vater hatte so getan, als habe er eine Machtposition. Zum Glück hatten diese Dinge in der Familie nicht zu unschönen Szenen geführt, obwohl Johan zeitweise die Türen geknallt hatte. Er hatte sich allerdings schon seit Kindesbeinen nicht für seine Eltern interessiert. Er hatte sie genauso wie Vigdis als notwendiges Übel betrachtet, von dem man sich nicht früh genug trennen konnte. Ganz im

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