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Die Unsterblichen: Roman (German Edition)

Die Unsterblichen: Roman (German Edition)

Titel: Die Unsterblichen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ketil Bjørnstad
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Meter hinter den anderen ging. Vielleicht hatte er gespürt, daß der Vater Trost brauchte, und das war richtig, denn der Vater begann kurz darauf zu weinen. Ein stilles Weinen, während er mit dem schweren Gepäck auf dem Rücken dahinstapfte. »Fehlt dir etwas, Vater?« hatte er gefragt, aber der Vater schüttelte nur den Kopf, ohne mit dem Weinen aufzuhören, und in ihm stieg eine unendliche Traurigkeit auf. Als würde ihm die Unschuld genommen, als wäre das Leben von nun an gefährlicher.
    Er war immer ein Muttersöhnchen gewesen. Aber dieses Weinen weckte ganz neue Gefühle in ihm. Der Vater wurde von da an wichtiger, aber zugleich auch rätselhafter.
    Während seiner Kindheit war der Vater selten zu Hause, hatte viel gearbeitet, was ihm Bergljot in regelmäßigen Abständen vorwarf. Später hatte Thomas gedacht, daß der Vater das vielleicht wiedergutmachen wollte, indem er alles unternahm, damit Bergljot im Brenner-Haus alt werden konnte.
    Thomas führte seine Mutter aus dem Haus und dachte, daß sie dieses Zuhause nun zum letzten Mal sah. Als er sich einmal kurz zum Vater umdrehte, saß dieser verlassen und hilflos im Erker. Was da geschah, war eine ungeheure Niederlage für Gordon Brenner, war ein ganz anderer Schlußpunkt ihres Zusammenlebens, als er erwartet hatte. Jetzt würde er Tag für Tag allein dort sitzen und ein Haus bewohnen, das für ihn keinen Sinn mehr hatte, das er aber auch nicht aufgeben konnte. Immer wieder hatten Thomas und auch seine Geschwister versucht, den Vater zu überreden, sich nach einer Altenwohnung umzusehen, bevor es zu spät war. Aber er hatte nur geschnaubt, obwohl die Mutter genickt hatte, fast träumerisch, und von einer Tante erzählt hatte, die vor vielen Jahren in ein sogenanntes Seniorenstift gezogen war und so schön von Altersruhe geschwärmt hatte. Und Thomas merkte jetzt, als er neben seiner Mutter ging, daß sie vor dem, was auf sie zukam, keine Angst hatte, als wüßte sie viel besser als ihr Mann, daß sie einen Preis dafür bezahlen mußte, so alt zu werden. Und ihm fiel einer ihrer Sprüche ein: »Wir werden zu alt.« Und dabei lebte sie vielleicht noch zehn Jahre! Und Gordon ebenfalls.
     
     
    Sie gehörten tatsächlich zur ersten Generation der Unsterblichen, die wirklich alt wurde.
    Und das Alter ließ sich nicht mehr leugnen, obwohl Gordon sich sehr bemühte, sauber und ordentlich zu sein. Das machte Bergljot übrigens auch. Thomas wusch ihnen regelmäßig die Haare. Der Vater hatte herausgefunden, daß es am besten war, dafür den Sohn einzuspannen, der Pflegedienst war ja unfähig.
    Einmal in der Woche hatte deshalb Thomas Brenner die Köpfe seiner Eltern in den Händen, spürte, wie das Wasser und das Shampoo sie zu Kindern werden ließ, empfindlich bei jeder abrupten und unbedachten Bewegung. Er mußte behutsam sein, mußte aufpassen, daß ihnen kein Wasser in die Ohren lief. Beim sanften Massieren ihrer Kopfhaut stießen sie leise Grunzlaute aus oder ein unbewußtes Stöhnen, dem eines Säuglings zum Verwechseln ähnlich.
    Sie waren jedesmal so dankbar, wenn er sie wusch, und dabei entstand eine besondere gegenseitige Abhängigkeit. Einmal im Monat schnitt er ihnen auch die Haare. Zuerst hatte er sich geweigert, der Mutter die Haare zu schneiden, denn auf ihr Haar hatte sie immer sehr viel Wert gelegt und war häufig zur Friseuse gegangen, obwohl sie nie das affektierte Verhalten der Holmenkoll-Damen annahm. Aber da war sie resolut geworden und hatte ihm beinahe befohlen, es zu tun.
    Er fand, daß er es nicht gut machte. Oft wurde es zu kurz oder zu eckig, so daß sie strenger aussah, als sie war. Aber Bergljot war immer zufrieden. Genauso wie Gordon wollte auch sie diese fürsorgliche Behandlung nicht mehr missen.
     
    Hussein und Thomas trugen die Mutter zum wartenden Auto. Er merkte, wie leicht sie war. Einen alten Menschenzu tragen, empfand er als bedrückend. Das war so ganz anders, als ein Kind zu tragen. Sie klammerte sich an ihn, als befürchtete sie, ihm zu entgleiten. Nach kurzer Widerrede wurde sie auf den Beifahrersitz bugsiert, obwohl sie mit Thomas auf der Rückbank sitzen wollte. Aber das Auto war zu eng.
    Dann fuhr er zum letzten Mal mit seiner Mutter weg vom Brenner-Haus, weg von seinem Vater, der jetzt weiß Gott was machte. Wie trostlos.
    Auf der Rückbank neben Leila konnte Thomas sehen, wie klein und gebeugt die Mutter aussah, sie verschwand fast im Beifahrersitz. Die grelle Oktobersonne schien ihr erbarmungslos in die Augen. Sie

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