Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks
den moralischen und ethischen Themen zurechtzukommen, die sich um die »Geburt« von HeLa und den »Tod« von Mrs. Lacks ranken … Es stellt sich die Frage, ob erstens eine Einverständniserklärung von der »Spenderin« oder ihrer Familie für die weltweite »Nutzung« von HeLa und die »massenhafte« kommerzielle Produktion, Verbreitung und Vermarktung von Mrs. Lacks’ Zellen eingeholt wurde… und zweitens, ob Wissenschaftler, Universitätsmitarbeiter, Regierungsbeamte und andere sich in diesen beiden Fragen oder in ihren Beziehungen zu der Familie ethisch einwandfrei verhalten haben … Darüber hinaus stellen sich weitere gesellschaftliche Fragen, weil Mrs. Lacks Afroamerikanerin war.
Einen Monat später kam die Antwort von Ross Jones, dem Assistenten des Hopkins-Präsidenten. Darin hieß es, er wisse »nicht genau, welche Rolle das Hopkins in einem Plan, Mrs. Lacks’ Leben zu ehren, spielen könne«, aber er wolle Wyche Folgendes mitteilen:
Ich möchte betonen, dass das Hopkins die HeLa-Zellen nie im Rahmen eines kommerziellen Unternehmens verwendet hat. Das Hopkins hat mit der Entwicklung, Verbreitung oder Nutzung der HeLa-Zellkulturen nie Geld zu verdienen versucht oder verdient. Im Einklang mit der zu jener Zeit nahezu allgemein anerkannten Praxis haben die Ärzte und andere Wissenschaftler am Hopkins und anderenorts sich nicht um die Genehmigung zur Verwendung von Gewebe bemüht, das im Rahmen diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen entnommen wurde. Wie es ebenfalls zu jener Zeit der Tradition wissenschaftlicher Forschung entsprach, wurden die Kulturen kostenlos, ohne Gegenleistung und auf Treu und Glauben an Wissenschaftler auf der ganzen Welt weitergegeben, wenn diese sie anforderten. Die Bereitschaft der Wissenschaftler am Hopkins, die Kulturen allgemein zugänglich zu machen, ist vielleicht sogar der wichtigste Grund dafür, dass aus ihrer Verwendung ein so großer Nutzen erwachsen ist.
Wie wir beide sicher wissen, haben sich viele Standards in der Praxis der wissenschaftlichen Medizin während der letzten Jahre dramatisch verändert. Ich hoffe und vertraue darauf, dass es heute eine stärkere Aufmerksamkeit und ein größeres Bewusstsein für die Wünsche und Interessen von Patienten gibt, die sich um medizinische Versorgung bemühen oder etwas zur Forschung beitragen. Dies alles geschieht zum Wohle der wissenschaftlichen Medizin und derer, denen wir dienen.
Weiterhin teilte er Wyche mit, er habe ihren Brief auch an »andere am Hopkins mit der Bitte um Kommentare und Bewertung« weitergegeben. Wenig später traf sich eine kleine Gruppe von Hopkins-Mitarbeitern inoffiziell und ohne Wyche oder Speed darüber in Kenntnis zu setzen: Man wollte diskutieren,
was die Universität zu Ehren von Henrietta und der Familie Lacks tun konnte.
Dann erfuhren sie von Cofield.
Sir Lord Keenan Kester Cofield war der Cousin der früheren Stieftochter von Deborahs Mann oder so etwas. Genau kann sich niemand in der Familie daran erinnern. Ebenso wenig wissen sie, wie oder wann er von Henriettas Zellen erfuhr. Eines aber haben sie in Erinnerung behalten: Irgendwann rief Cofield bei Deborah an. Er erklärte, er sei Anwalt und sie müsse sich und ihre Mutter verteidigen, indem sie den Namen Henrietta Lacks urheberrechtlich schützen ließ. Außerdem sagte er, seiner Ansicht nach habe sich das Hopkins eines ärztlichen Kunstfehlers schuldig gemacht und es sei an der Zeit, juristisch für den Anteil der Familie an dem Geld zu kämpfen, das man seit den Fünfzigerjahren mit Henriettas Zellen verdient hatte. Einen gewissen Prozentsatz davon würde er als Honorar verbuchen. Eine Anzahlung verlangte er nicht, und wenn der Prozess verloren gehe, sagte er, müsse die Familie Lacks gar nichts bezahlen.
Deborah hatte nie davon gehört, dass man irgendetwas urheberrechtlich schützen lassen müsse. Die Familie hatte aber immer vorgehabt, mit einem Anwalt über die Zellen zu sprechen, und es hörte sich ganz so an, als ob sie sich Cofield leisten könnten. Deborahs Brüder waren entzückt, und wenig später stellte sie Cofield bei Speed und Wyche als Anwalt der Familie vor.
Nun verbrachte Cofield seine Tage am Hopkins, stöberte in den Archiven der medizinischen Fakultät und machte sich Notizen. Von allen, die im Laufe der Jahre zur Familie Lacks gekommen und über die Zellen gesprochen hatten, berichtete er als Erster genau, was Henrietta am Hopkins widerfahren war. Nach den Erinnerungen der Familie bestätigten
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