Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks
Hopkins-Mitarbeitern, die an Plänen zur Ehrung von Henrietta gearbeitet hatten, von Cofields Klage erfuhr, ließ sie die Idee in aller Stille fallen und teilte der Familie Lacks auch nie mit, dass es solche Überlegungen je gegeben hatte.
Als ich viele Jahre später mit dem Pathologen Grover Hutchins sprach, der ebenfalls von Cofield verklagt worden war, schüttelte er den Kopf und sagte: »Das Ganze war eine traurige Angelegenheit. Sie wollten eine Art Anerkennung für Henrietta, aber dann wurde die Sache so brenzlig, und Cofield sagte so verrückte Dinge darüber, was die Familie angeblich
vom Hopkins hielt, dass man sich entschloss, am besten keine schlafenden Hunde zu wecken und sich mit nichts zu befassen, was mit der Familie Lacks zu tun hatte.«
JoAnn Rogers, die Sprecherin der Johns Hopkins University, erklärte mir in einem Gespräch, offizielle Bestrebungen, Henrietta zu ehren, habe es in der Klinik nie gegeben. »Es war eine Einzelinitiative – vielleicht von ein oder zwei Personen, und als die weg waren, war auch der Gedanke weg. Die Initiative ging nie von der Institution aus.«
Auch als irgendwann keine Vorladungen mehr kamen, konnte Deborah nicht glauben, dass der Prozess wirklich vorüber war. Sie wurde den Gedanken nicht los, dass Cofield irgendwelche Komplizen zu ihrem Haus schicken würde, damit sie die Bibel ihrer Mutter oder die darin versteckte Haarlocke stahlen. Vielleicht würde er auch versuchen, sich Deborahs Zellen anzueignen, weil er sie für genauso wertvoll hielt wie die ihrer Mutter. Sie öffnete ihre Post nicht mehr und verließ das Haus fast nur noch, um schichtweise als Schulbusfahrerin für behinderte Kinder zu arbeiten. Dann hatte sie einen ungewöhnlichen Unfall: Ein Teenager griff sie im Bus an, stürzte sich auf sie, biss und kratzte, bis zwei Männer hinzukamen und den Jungen wegzogen. Als er sie ein paar Tage später noch einmal angriff, trug sie einen dauerhaften Bandscheibenschaden davon.
Deborah und ihr Mann hängten dunkle Vorhänge in die Fenster und nahmen das Telefon nicht mehr ab. Als sie eineinhalb Jahre nach Ende des Cofield-Prozesses in ihrem dunklen Wohnzimmer saßen, ging sie endlich daran, alle Einzelheiten über den Tod ihrer Mutter in den Krankenakten zu lesen, immer und immer wieder. Dabei erfuhr sie zum ersten Mal, dass man ihre Schwester in eine Nervenheilanstalt namens Crownsville eingewiesen hatte.
Nun machte sie sich Sorgen, ihrer Schwester könne in dieser Klinik etwas Schlimmes zugestoßen sein. Vielleicht wurde sie
wie unsere Mutter für irgendwelche Forschungsarbeiten benutzt , dachte sie. Deborah rief in Crownsville an und bat um eine Kopie von Elsies Akte, aber ein Angestellter antwortete, die meisten Unterlagen der Klinik aus der Zeit vor 1955 – Elsies Todesjahr – seien zerstört worden. Sofort schöpfte Deborah Verdacht, man wolle ihr Informationen über ihre Schwester vorenthalten, genau wie sie auch immer noch glaubte, das Hopkins habe ihr nicht die ganze Wahrheit über Henrietta mitgeteilt.
Wenige Stunden nach ihrem Anruf in Crownsville bekam Deborah Orientierungsstörungen und Atembeschwerden. Dann brach die Nesselsucht aus – auf ihrem Gesicht, Hals und Körper, ja sogar an den Fußsohlen bildeten sich rote Striemen. Sie begab sich ins Krankenhaus und sagte: »Ich hatte wegen der ganzen Sache mit meiner Mutter und meiner Schwester einen Nervenzusammenbruch.« Der Arzt erklärte, ihr Blutdruck sei so hoch, dass sie beinahe einen Schlaganfall bekommen hätte. Wenige Wochen nachdem man Deborah aus dem Krankenhaus entlassen hatte, hinterließ Robert Pattillo auf ihrem Anrufbeantworter eine Nachricht: Er habe mit einer Journalistin gesprochen, die ein Buch über Henrietta und ihre Zellen schreiben wolle, und sei der Ansicht, dass Deborah sich mal mit ihr unterhalten solle. Diese Journalistin war ich.
29
Ein Dorf voller Henriettas
N ach unserem ersten Gespräch lehnte Deborah es fast ein Jahr lang ab, mit mir zu reden. Immer wieder reiste ich nach Clover, saß auf Terrassen oder ging mit Cliff, Cootie und Gladys’ Sohn Gary durch die Tabakfelder spazieren. Ich stöberte in Archiven, Kellern von Kirchen und dem verlassenen, baufälligen Gebäude, in dem Henrietta zur Schule gegangen war. Von unterwegs aus hinterließ ich alle paar Tage eine Nachricht für Deborah. Ich wollte sie davon überzeugen, dass wir – wenn sie bereit wäre, mit mir zu sprechen – gemeinsam mehr über Henrietta herausfinden könnten.
»Hallo, ich bin hier
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