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Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks

Titel: Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Skloot
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tippst, was du für das Buch brauchst, aber nich alles. Ich will, dass die Leute in unserer Familie die Einzigen sind, die alle Akten haben.«
    Nachdem ich versprochen hatte, dass ich nicht alle Akten kopieren würde, erklärte Deborah wieder einmal, sie wolle zu Bett gehen, aber während der nächsten Stunden klopfte sie alle 15 oder 20 Minuten an meine Tür. Beim ersten Mal duftete sie nach Pfirsich und sagte: »Ich musste noch mal zum Auto und meine Lotion holen, da hab ich gedacht, ich sag noch mal hallo.« Jedes Mal war es etwas anderes: »Ich hab meine Nagelfeile im Auto vergessen!«… »Jetzt läuft X-Files !« … »Ich musste plötzlich an Pfannkuchen denken!« Jedes Mal, wenn sie klopfte, öffnete ich meine Tür sperrangelweit: Sie sollte sehen, dass das Zimmer und die Krankenakten noch genauso aussahen wie vorhin, als sie gegangen war.
    Als sie zum letzten Mal geklopft hatte, stürmte sie an mir vorbei ins Bad und beugte sich, das Gesicht dicht vor dem Spiegel, über das Waschbecken. »Was is denn mit mir los?«, rief sie. Ich ging ins Badezimmer. Sie deutete auf ihre Stirn, wo sie eine rote
Stelle von der Größe einer kleinen Münze hatte. Es sah aus wie ein Nesselausschlag.
    Sie drehte sich um und zog ihr Hemd runter: Nun konnte ich sehen, dass auch ihr Hals und der Rücken von roten Quaddeln übersät waren.
    »Ich mach’n bisschen Creme drauf«, sagte sie. »Wahrscheinlich sollte ich’ne Schlaftablette nehmen.« Sie ging wieder in ihr Zimmer, und im nächsten Augenblick wurde ihr Fernseher lauter. Geschrei, Weinen und Schüsse aus dem Fernseher drangen während der ganzen Nacht zu mir, aber Deborah sah ich erst um sechs Uhr morgens wieder – eine Stunde nachdem ich mich schlafen gelegt hatte. Sie klopfte an meine Tür und rief: »Kontinentales Frühstück gratis!«
    Meine Augen waren rot, geschwollen und von dunklen Ringen umgeben, und ich trug immer noch die Kleidung vom Tag zuvor. Deborah sah mich an und lachte.
    »Wir sind vielleicht Chaoten!«, sagte sie und zeigte auf den Ausschlag, der jetzt ihr ganzes Gesicht bedeckte. »Du lieber Gott, gestern Abend hatte ich solche Angst. Ich wusste nich, was ich machen soll, also hab ich mir die Fingernägel angemalt.« Sie streckte die Hände aus, damit ich ihr Werk begutachten konnte. »Saumäßig schlecht!«, sagte sie und lachte. »Ich glaub, das hab ich gemacht, nachdem ich meine Tablette genommen hatte.«
    Ihre Fingernägel und große Teile der umgebenden Haut waren leuchtend feuerwehrrot. »Von Weitem sieht’s ganz gut aus«, sagte sie. »Aber wenn ich mein Geld noch mit Nägellackieren verdienen müsste, wär ich geliefert.«
    Wir gingen durch die Lobby zu unserem kostenlosen Frühstück. Als Deborah eine Hand voll Minimuffins für später in eine Serviette wickelte, blickte sie mich an und sagte: »Wir sind schon ganz gut, Boo.«
    Ich nickte und sagte, das wisse ich. In Wirklichkeit aber wusste ich in diesem Moment gar nichts mehr.

35
    Seelenreinigung
    I m Laufe des Vormittags hatte sich der Ausschlag über Deborahs gesamten Rücken ausgebreitet. Ihre Wangen hatten rote Flecken, und unter beiden Augen zogen sich lange rote Striemen hin. Ihre Lider waren geschwollen und glänzten, als hätte sie blutrotes Make-up aufgelegt. Immer wieder erkundigte ich mich, ob sie sich auch wohlfühlte, und schlug vor, anzuhalten und einen Arzt aufzusuchen. Aber sie lachte nur.
    »Das hab ich dauernd«, sagte sie. »Mir geht’s gut. Ich brauch nur’n bisschen Benadryl.« Sie kaufte eine Flasche des Medikaments, steckte sie in ihre Handtasche und nahm den ganzen Tag über immer mal wieder einen Schluck. Gegen Mittag war ungefähr ein Drittel des Ausschlags verschwunden.
    Nachdem wir in Clover angekommen waren, gingen wir am Fluss entlang, über die Hauptstraße und über Henriettas Tabakfeld. Wir besichtigten auch das Home-House. Dort sagte Deborah: »Ich möchte, dass du hier ein Bild von mir mit meiner Schwester machst.«
    Sie stellte sich vor das Haus, drehte beide Fotos von Elsie zu mir und hielt sie sich vor die Brust. Ich musste Bilder von ihr und Elsie auf dem Stumpf von Henriettas ehemaliger Lieblingseiche und vor dem Grabstein von Henriettas Mutter machen. Dann kniete sie sich vor den eingesunkenen Stellen, die in ihrer Vorstellung die Gräber ihrer Mutter und ihrer Schwester waren, auf die Erde. »Mach eins von mir und meiner Schwester am Grab von ihr und meiner Mutter«, sagte sie. »Es wird auf der ganzen Welt das einzige Foto sein, auf dem wir

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