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Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks

Titel: Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Skloot
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Henrietta an.«
    »Sie glauben, Henrietta ist in diesen Zellen?«
    Er lächelte und sah mich mit einem schrägen Blick an, als wollte er sagen: dummes kleines Kind . »Diese Zellen sind Henrietta«,
erwiderte er, nahm mir die Bibel aus der Hand und schlug das Johannesevangelium auf. »Lesen Sie das«, sagte er und zeigte auf einen Textabschnitt. Ich fing an zu lesen, aber er verdeckte die Bibel mit seiner Hand. »Laut«, sagte er.
    Also las ich zum ersten Mal in meinem Leben laut aus der Bibel vor: »Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt; und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben.«
    Gary schlug eine andere Stelle auf, die ich vorlesen sollte: »Wie werden die Toten auferstehen, und mit was für einem Leib werden sie kommen? Du Narr: Was du säst, wird nicht lebendig, wenn es nicht stirbt. Und was du säst, ist ja nicht der Leib, der werden soll, sondern ein bloßes Korn … Gott aber gibt ihm einen Leib, wie er will, einem jeden Samen seinen eigenen Leib.« »Henrietta war auserwählt«, flüsterte Gary. »Und wenn der Herr einen Engel erwählt, damit er seine Werke tut, dann weiß man nie, wie er aussieht, wenn er wiederkehrt.«
    Gary zeigte auf eine andere Stelle und sagte, ich solle weiterlesen: »Und es gibt himmlische Körper und irdische Körper; aber eine andere Herrlichkeit haben die himmlischen und eine andere die irdischen.«
    Als Christoph ein paar Tage zuvor Henriettas Zellen auf den Monitor in seinem Labor projiziert hatte, hatte Deborah gesagt: »Sie sind wunderschön.« Damit hatte sie recht. Wunderschön und wie aus einer anderen Welt – sie glühten grün und bewegten sich wie Wasser, ruhig und flüchtig; damit sahen sie genauso aus, wie man sich die Himmelskörper vorstellen kann. Sie können sogar durch die Luft schweben.
    Ich las weiter: »So auch die Auferstehung der Toten. Es wird gesät verweslich und wird auferstehen unverweslich … Gibt es einen natürlichen Leib, so gibt es auch einen geistlichen Leib.« »HeLa?« fragte ich. »Sie wollen sagen, HeLa sei ihr geistlicher Leib?«

    Gary lächelte und nickte.
    In dem Augenblick, als ich diese Bibelstellen las, begriff ich, dass manche Angehörigen der Familie Lacks ohne jeden Zweifel glauben konnten, Henrietta sei vom Herrn auserwählt worden, um unsterblich zu werden. Wenn man die Bibel beim Wort nimmt, wirkt die Unsterblichkeit ihrer Zellen vollkommen plausibel. Natürlich wachsen sie und überleben noch Jahrzehnte nach ihrem Tod, natürlich schweben sie durch die Luft, natürlich führen sie zur Heilung von Krankheiten und werden in den Weltraum geschossen. So sind Engel. Das steht in der Bibel.
    Für Deborah und ihre Angehörigen – und sicher auch für viele andere Menschen überall auf der Welt – war diese Antwort viel konkreter als die Erklärungen der Wissenschaft: dass die Unsterblichkeit von Henriettas Zellen irgendwie mit ihren Telomeren und den Wechselbeziehungen zwischen HPV und ihrer DNA zu tun hat. Der Gedanke, Gott habe Henrietta als Engel auserwählt, damit sie in Form unsterblicher Zellen wiedergeboren wurde, erschien ihnen viel sinnvoller als die Erklärung, die Deborah Jahre zuvor in Victor McKusicks Genetiklehrbuch gelesen hatte, wo nüchtern von der »atypischen Histologie« der HeLa-Zellen und ihrem »ungewöhnlich bösartigen Verhalten« die Rede war. Dort standen Formulierungen wie »die Einzigartigkeit des Tumors«, und die Zellen wurden als »Reservoir für morphologische, biochemische und andere Informationen« bezeichnet.
    Jesus sagte zu seinen Jüngern: »Ich gebe ihnen das ewige Leben, und sie sollen nimmermehr sterben.« Schlicht, einfach, auf den Punkt gebracht.
    »Seien Sie vorsichtig«, sagte Gary zu mir. »Es dauert nicht mehr lange, dann sind Sie bekehrt.«
    »Da hab ich so meine Zweifel«, erwiderte ich, und wir mussten beide lachen.

    Er nahm mir die Bibel aus der Hand, schlug eine andere Stelle auf, gab sie mir dann zurück und zeigte auf einen Satz: »Warum wird das bei euch für unglaublich gehalten, dass Gott Tote auferweckt?«
    »Haben Sie meine Kehrtwendung bemerkt?«, fragte er und grinste spitzbübisch.
    Ich nickte, und Gary schloss die Bibel in meinen Händen.

37
    »Nix, wovor man Angst haben muss«
    A ls Deborah in die Praxis ihres Arztes kam, waren Blutdruck und Blutzuckerspiegel sehr hoch. Der Arzt wunderte sich, dass sie während unseres Aufenthalts in Clover noch keinen Schlaganfall oder Herzinfarkt erlitten hatte. Bei solchen Werten, so sagte

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