Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks

Titel: Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Skloot
Vom Netzwerk:
werde aller Wahrscheinlichkeit nach wieder völlig gesund werden.
    »Gelobt sei der Herr!«, rief Pullum.
    Als Deborah einige Tage danach aus dem Krankenhaus entlassen wurde, hinterließ sie mir eine Nachricht auf der Mailbox. Ich hatte Geburtstag, und wir hatten vorgehabt, uns an diesem Tag in Clover zu treffen. »Happy Birthday, Boo«, sagte sie mit vollkommen ruhiger Stimme. »Tut mir leid, dass ich heute nicht mit dir da draußen auf dem Land feiern kann, aber ich hatte neulich’n paar Schlaganfälle. Das musste wohl so kommen, aber gottlob!, es geht mir gut. Kann auf einer Seite von meinem Mund noch nicht wieder richtig sprechen, aber der Doktor sagt, das wird schon. Du berichtest weiter, und mach dir keine Sorgen um mich – ich fühl mich wohl. Ich fühl mich so leicht, weißt du? Es hat mir die Last abgenommen. Ich danke dem Herrn für alles, was passiert ist.«
    Der Arzt sagte zu Deborah, ein zweiter Schlaganfall sei fast immer schlimmer als der erste. »Vertrauen Sie mir«, sagte er, »Sie sollten so etwas nicht noch einmal machen.« Er sagte, sie müsse lernen, die Alarmzeichen zu erkennen, und wissen, wie man den Blutdruck senkt und den Blutzucker unter Kontrolle hält.
    »Jetzt hab ich noch’nen Grund, weiterzumachen und zur Schule zu gehen«, sagte sie zu mir. »Ich hab mich schon zu’nem Diabetikerkurs und’nem Schlaganfallkurs angemeldet, damit ich das alles besser versteh. Vielleicht mach ich auch noch’nen Ernährungskurs, wo man lernt, richtig zu essen.« Durch den Schlaganfall schienen sich auch die Verhältnisse in der Familie zu entspannen: Deborahs Brüder riefen jetzt jeden Tag an und erkundigten sich, wie es ihr ging; Zakariyya
sagte sogar, er wolle sie besuchen. Deshalb hoffte Deborah, ihre Brüder würden sich jetzt damit abfinden, dass sie so viele Informationen über ihre Mutter sammeln wollte.
    Einmal rief sie mich an und lachte: »Mädel, ich muss mich ausruhen, damit wir wieder losfahren und weiter recherchieren können, bevor die Spur kalt wird! Aber von jetzt an fahr ich nicht mehr selbst. Alles wird gut. Das hab ich gewusst, als ich aufgewacht bin. Ich muss nur’n bisschen langsamer tun, auf die Sachen achten und mir keine Angst einjagen lassen. Das mit meiner Mutter und den Zellen is nix, wovor man Angst haben muss. Ich lass mich jetzt nich mehr davon abhalten, noch mehr zu lernen.«
    In Wirklichkeit gab es durchaus etwas, das Deborah vom Lernen abhalten konnte: Sie hatte nicht genug Geld. Ihr Scheck von der Sozialhilfe reichte kaum für das Allernötigste, von Kursen und Büchern ganz zu schweigen. Sie hatte mehrere Ideen, wie sie Geld verdienen konnte, unter anderem mit einer bunten Wegwerf-Babyflasche mit fertig abgemessener Wasser- und Pulvermenge. So etwas konnte eine viel beschäftigte Mama mit einer Hand schütteln, während sie mit der anderen das Baby festhielt. Sie zeichnete genaue Diagramme und schickte sie zusammen mit einem Patentantrag ab, ließ die Idee aber fallen, als sie feststellte, dass die Produktion eines Prototyps mehrere tausend Dollar kosten würde.
    Schließlich dachte Deborah überhaupt nicht mehr daran, selbst zur Schule zu gehen, sondern konzentrierte sich ganz darauf, dass ihre Enkel, Großnichten und Großneffen eine gute Ausbildung erhielten.
    »Für Henriettas Kinder isses zu spät«, sagte sie mir eines Tages am Telefon. »Die Geschichte handelt nich mehr von uns. Die handelt jetzt von den neuen Lacks-Kindern.«

    Zwei Monate nach Deborahs Schlaganfall gingen wir in Pullums Kirche und waren Zeugen, als er Sonnys neun Monate alte Enkeltochter JaBrea taufte. Als die Predigt begann, war kaum noch ein Sitzplatz frei. Pullum stand in einem langen schwarzen Talar mit roten Kreuzen auf der Kanzel. Schweißperlen standen ihm auf der Stirn. Ein blinder Pianist tastete sich zum Klavier und begann zu spielen, während die Gemeinde sang: » Bleib bei mir, wenn ich diesen Weg geh, denn ich will ihn nicht vergeblich gehn .«
    Pullum zeigte auf mich und grinste verschmitzt.
    »Komm, stell dich hier neben mich!«, rief er.
    »Au wei, Mädel, jetzt hast du ein Problem«, flüsterte Deborah und stieß mich in die Rippen.
    »Ich geh da nicht rauf«, flüsterte ich zurück. »Wir tun einfach so, als würden wir ihn nicht sehen.«
    Pullum schwenkte die Arme über dem Kopf, dann zeigte er auf die Kanzel und bedeutete mir, zu ihm zu kommen. Deborah und ich starrten mit ausdruckslosem Gesicht hinter ihm in den Chor und taten so, als sähen wir ihn nicht. Pullum

Weitere Kostenlose Bücher