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Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks

Titel: Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Skloot
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er, könne das jeden Augenblick passieren. Plötzlich erschien ihr seltsames Verhalten auf der Reise gar nicht mehr so seltsam. Verwirrung, Panik und zusammenhanglose Äußerungen sind Symptome sehr hoher Blutdruck-und Blutzuckerwerte, die einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall nach sich ziehen können. Das gilt auch für Rötungen und Schwellungen – ein Grund dafür, warum die roten Flecken auf ihrer Haut trotz des vielen Benadryls, das sie eingenommen hatte, nicht verschwunden waren.
    Der Arzt erklärte ihr, sie müsse Stress völlig vermeiden; deshalb beschlossen wir, dass sie mich auf meinen Recherchereisen nicht mehr begleiten würde. Sie bestand aber darauf, dass ich sie von unterwegs immer anrief und ihr mitteilte, was sie gerade verpasste.
    Als ich in den nächsten Monaten meine Recherchen fortsetzte, berichtete ich Deborah nur von den guten Dingen, die ich herausfand: So etwa, wie Henrietta getanzt und den Jungen beim Baseballspielen vor Cliffs Haus zugesehen hatte, und Einzelheiten über ihre Familiengeschichte, die ich amtlichen Unterlagen und Testamenten entnommen hatte.
    Aber wir wussten beide, dass die Pause, die sie von HeLa machte, nicht lange dauern würde. Immer noch war vorgesehen, dass Deborah bei der Tagung, die von der National Foundation
for Cancer Research zu Henriettas Ehren veranstaltet wurde, einen Vortrag halten sollte. Sie war entschlossen, den Termin einzuhalten, obwohl sie den Gedanken, an ein Rednerpult zu treten, entsetzlich fand. Deshalb verbrachte sie nun ganze Tage damit, ihre Ansprache auszuarbeiten.
    Eines Nachmittags, mitten in den Vorbereitungen für die Tagung, rief sie mich an und erklärte, sie habe sich entschlossen, wieder zur Schule zu gehen. »Ich denk immer, wenn ich was von Wissenschaft verstehe, jagt mir die Geschichte von meiner Mutter und meiner Schwester vielleicht nich mehr so viel Angst ein«, sagte sie. »Deshalb muss ich das einfach machen.« Innerhalb weniger Tage rief sie bei mehreren Bildungseinrichtungen an, von denen eine auch Programme für Erwachsene anbot; daraufhin meldete sie sich zu Einstufungstests in Mathematik und Lesen an.
    »Wenn ich das Niveau der zehnten Klasse erreiche, kann ich aufs College gehen!«, sagte sie zu mir. »Kannst du dir das vorstellen? Dann versteh ich die ganze Wissenschaft über meine Mutter!« Sie dachte darüber nach, ob sie vielleicht Zahnarzthelferin werden sollte, neigte aber im Grunde doch mehr zum Beruf der Röntgenassistentin. Damit konnte sie den Krebs studieren und Patienten helfen, die wie ihre Mutter eine Strahlentherapie erhielten.
    Als die Tagung näher rückte, war Deborah – im Unterschied zu mir – ganz ruhig. Immer wieder fragte ich sie: »Bist du dir auch ganz sicher, das du das wirklich willst?« oder »Wie sieht es mit deinem Blutdruck aus?« und »Weiß dein Arzt, dass du das machst?«. Immer wieder erklärte sie, es gehe ihr gut und das habe auch ihr Arzt bestätigt.
    Deborah absolvierte die Einstufungstests der Schule und schrieb sich für die Kurse ein, die sie für den Abschluss der zehnten Klasse brauchte. Damit konnte sie sich für das allgemeine College qualifizieren, das sie anschließend besuchen
wollte. Ganz aufgeregt rief sie mich an und rief: »Heute in einer Woche fange ich an!«
    Alles andere jedoch schien immer schneller in die falsche Richtung zu laufen. Wenige Tage vor der Konferenz riefen Lawrence und Zakariyya wieder bei ihr an und schimpften, sie solle bloß mit niemandem reden. Die beiden erklärten, sie würden jeden Wissenschaftler verklagen, der jemals mit Henriettas Zellen gearbeitet hatte. Sonny sagte ihnen, sie sollten sich heraushalten: »Sie geht doch nur da hin, wo man sprechen und lernen kann – ihr wollt das bloß nich, also lasst sie in Ruhe.« Aber Lawrence bestand darauf, dass Deborah ihm die Unterlagen gab, die sie über ihre Mutter gesammelt hatte.
    Dann rief ihr Sohn Alfred aus dem Gefängnis an und sagte, sein Prozess werde nun unmittelbar nach der Tagung endlich beginnen und die Anklage laute auf bewaffneten Raubüberfall und Mordversuch. Am gleichen Tag erhielt Deborah auch einen Anruf von einem der Söhne von Lawrence, der ebenfalls wegen Raubes verhaftet worden war und im gleichen Gefängnis saß wie Alfred.
    »Der Teufel hat ganz schön zu tun, Mädel«, sagte sie zu mir. Der nächste Tag war der 11. September 2001.
    Gegen acht Uhr morgens rief ich Deborah an und sagte, ich würde jetzt zu Hause in Pittsburgh losfahren und zu der Tagung nach Washington

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