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Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks

Titel: Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Skloot
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standen die Worte WIEDERBELE-BUNG DES GEISTES ZUR WIEDERERLANGUNG DER VISION, Sprüche Salomos 29:18. An den Stufen vor dem Wagen standen sechs Männer und lachten. Der Älteste war zwischen 30 und 40; er trug rote Hosen, rote Hosenträger, ein schwarzes Hemd und eine Fernfahrerkappe. Ein anderer hatte eine zu große rot-weiße Skijacke an. Um sie herum standen jüngere Männer mit brauner Haut in unterschiedlichen Schattierungen und Schlabberhosen. Die beiden Männer in Rot verstummten, sahen zu, wie ich langsam vorüberfuhr, und lachten dann weiter.
    Der Durchmesser von Turner Station beträgt in keiner Richtung mehr als eineinhalb Kilometer. Am Horizont stehen Hafenkräne, hoch wie Wolkenkratzer, und die Schornsteine von Sparrows Point spucken dicke Rauchwolken aus. Als ich im Kreis fuhr und nach Speeds Lebensmittelladen suchte, hörten die Kinder auf der Straße auf zu spielen, starrten mich an und winkten. Zwischen roten Backsteinhäusern, die alle gleich aussahen, liefen sie hin und her, vorbei an Frauen, die ihre Wäsche aufhängten, und folgten mir. Auch die Mütter lächelten und winkten mir zu.

    An dem Wohnwagen und den Männern fuhr ich so oft vorbei, dass sie mir irgendwann auch jedes Mal zuwinkten. Ähnlich erging es mir bei Henriettas ehemaligem Haus. Es war eines von vier Reihenhäusern aus braunem Backstein mit Maschendrahtzaun, ein paar Quadratmetern Gras als Vorgarten und drei Stufen, die zu einer kleinen Eingangsschwelle aus Beton führten. Hinter Henriettas Fliegengittertür stand ein Kind, beobachtete mich, winkte und spielte mit einem Stock.
    Ich winkte ebenfalls allen zu und tat jedes Mal überrascht, wenn die Kindergruppe, die mir folgte, wieder grinsend in irgendeiner Straße auftauchte. Ich hielt aber nicht an und bat auch niemanden um Hilfe. Dazu war ich viel zu nervös. Die Menschen von Turner Station beobachteten mich nur, lächelten und schüttelten die Köpfe, als wollten sie sagen: Warum fährt denn diese junge weiße Frau hier dauernd im Kreis rum? Schließlich erkannte ich die New Shiloh Baptist Church, die in dem Zeitungsartikel als der Ort erwähnt worden war, an dem die Versammlungen wegen des Henrietta-Lacks-Museums stattfanden. Aber sie war geschlossen. Als ich das Gesicht an die große Glasfront drückte, näherte sich eine schwarze Limousine. Aus dem Wagen stieg ein adretter, gut aussehender Mann zwischen 40 und 50 mit Goldrandbrille, schwarzem Anzug, schwarzem Barett und dem Schlüssel zur Kirche. Er schob seine Brille bis zur Nasenspitze runter, sah mich über den Rand der Gläser hinweg an und erkundigte sich, ob ich Hilfe brauchte.
    Ich sagte ihm, warum ich hier war.
    »Henrietta Lacks – habe ich nie gehört«, erwiderte er.
    »Da sind Sie nicht der Einzige«, sagte ich. Dann erzählte ich ihm, ich hätte gelesen, dass jemand an Speeds Lebensmittelladen eine Gedenktafel zu Henriettas Ehren aufgehängt hätte.
    »Ach! Speed’s?«, antwortete er mit breitem Lächeln, wobei er eine Hand auf meine Schulter legte. »Zu Speed’s kann ich
Sie bringen!« Er sagte, ich solle in mein Auto steigen und ihm dann folgen.
    Auf der Straße winkten und schrien alle, an denen wir vorüberfuhren: »Hi, Reverend Jackson!«, »Wie geht’s, Reverend?«, »Gott segne Sie!« Zwei Häuserblocks weiter blieben wir vor dem grauen Wohnwagen mit den Männern davor stehen. Der Reverend schob den Getriebehebel in die Parkstellung und winkte mir, ich solle aussteigen. Die Männer auf den Stufen lächelten, griffen mit beiden Händen nach der Hand des Pastors, schüttelten sie und sagten: »Hallo, Reverend, haben Sie eine Freundin mitgebracht?«
    »Ja«, antwortete er. »Sie möchte mit Ms. Speed sprechen.«
    Der Mann mit der roten Hose und den roten Hosenträgern – wie sich herausstellte, war er Keith, Speeds ältester Sohn – erklärte, sie sei weggegangen und niemand wisse, wann sie genau zurückkommen werde. Ich könnte mir aber gern einen Stuhl auf der Veranda schnappen, mich zu den Jungs setzen und auf sie warten. Als ich mich gesetzt hatte, lächelte mich der Mann mit der rot-weißen Skijacke an und erklärte, er sei ihr Sohn Mike. Dann waren da noch ihre Söhne Cyrus und Joe und Tyrone. Alle Männer auf dieser Veranda waren ihre Söhne, ebenso auch fast alle, die in den Laden kamen. Wenig später hatte ich 15 Söhne gezählt und sagte: »Moment mal. Sie hat 15 Kinder?«
    »Oh!«, brüllte Mike. »Sie kennen Mama Speed noch nicht, stimmt’s? Ich bewundere die Mama – die is vielleicht

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