Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks
der heute am häufigsten verwendeten und wirksamsten Chemotherapie-Wirkstoffe hervorgingen, unter anderem Vincristin und Taxol.
Obwohl diese Forschungsarbeiten von so großer Bedeutung waren, gingen viele Wissenschaftler mit ihren Zellkulturen recht sorglos um. Nur die wenigsten führten genaue Aufzeichnungen darüber, welche Zellen von welchem Spender stammten, und viele beschrifteten ihre Kulturen falsch – wenn sie sie überhaupt beschrifteten. Für Wissenschaftler, deren Arbeiten sich nicht auf einzelne Zelltypen bezogen – beispielsweise wenn sie die Auswirkungen von Strahlung auf die DNA untersuchten -, war es für die Ergebnisse möglicherweise ohne Bedeutung, wenn sie nicht genau wussten, mit was für Zellen sie arbeiteten. Waren die Zellen aber bei zellspezifischen Arbeiten – und in diese Kategorie gehörten viele Untersuchungen – verunreinigt oder falsch beschriftet, waren die Ergebnisse wertlos. Dennoch erklärten die Zellkulturexperten, die die Tagung einberiefen, Genauigkeit sei in der Wissenschaft unentbehrlich und die Wissenschaftler sollten exakt wissen, was für Zellen sie benutzten und ob sie verunreinigt waren.
Einer der Wissenschaftler auf der Tagung war Robert Stevenson. Wie er berichtet, wollte man damals verhindern, dass »das Fachgebiet im völligen Chaos versinkt«. Die Versammelten forderten ihre Kollegen auf, Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen: Unter anderem sollten sie unter Abzugshauben arbeiten, die Luft und potenzielle Verunreinigungen mithilfe eines Filtersystems absaugten. Außerdem sprachen sie die Empfehlung aus, die NIH sollten eine Referenzsammlung von Zellen anlegen:
eine zentrale Zellbank, in der alle Kulturen getestet, katalogisiert und nach neuesten Methoden der Keimfreiheit unter maximalen Sicherheitsvorkehrungen aufbewahrt wurden. Die NIH stimmten zu und setzten ein Komitee für die Zellkultursammlung ein, zu dem Experten des Fachgebiets wie William Scherer, Lewis Coriell und Robert Stevenson gehörten. Sie hatten die Aufgabe, eine gemeinnützige staatliche Zellsammlung bei der American Type Culture Collection (ATCC) einzurichten, einer Institution, die bereits seit 1925 Bakterien, Pilze, Hefen und Viren verteilte und die Reinheit ihrer Kulturen überwachte; mit Gewebekulturzellen hatte sie sich bis dahin allerdings nicht befasst.
Die Wissenschaftler des Komitees gingen daran, das Fort Knox der reinen, nicht verunreinigten Zellkulturen zu schaffen. Sie transportierten die Kulturen in verschlossenen Koffern und entwickelten eine Liste mit Kriterien, die alle Zellen erfüllen mussten, bevor sie in die Sammlung aufgenommen wurden: Jede Kultur musste auf mögliche Verunreinigungen überprüft werden, und alle mussten unmittelbar aus ihrer ursprünglichen Quelle stammen.
Der Zellstamm Nummer 1 in der Sammlung der ATCC waren die L-Zellen, eine unsterbliche Linie von Mauszellen, die ursprünglich von Wilton Earle gezüchtet worden waren. Wegen der Zelle Nummer zwei wandte sich das Komitee an Gey und bat ihn um eine Probe der ursprünglichen HeLa-Kultur. Aber Gey hatte in seiner anfänglichen Euphorie alle Original-HeLa-Zellen an andere Wissenschaftler weitergegeben und selbst keine aufbewahrt. Schließlich machte er eine Probe in William Scherers Labor ausfindig, wo man die ursprüngliche HeLa-Probe in der Polioforschung benutzt hatte.
Anfangs konnte das Komitee die Proben nur auf Verunreinigungen mit Viren und Bakterien überprüfen, wenig später entwickelten einige seiner Mitglieder aber auch einen Test auf die
Verunreinigung mit Zellen anderer biologischer Arten. Nun konnte man feststellen, ob Kulturen, die der Beschriftung nach von einem bestimmten Tier stammten, tatsächlich dieser Spezies zuzuordnen waren. Wie sich dabei sehr schnell herausstellte, stammten neun von zehn Zelllinien, die angeblich auf neun verschiedene Tierarten zurückgingen – unter anderem auf Hunde, Schweine und Enten – in Wirklichkeit von Primaten. Die betreffenden Kulturen wurden sofort neu etikettiert, und es sah so aus, als habe man die Situation unter Kontrolle gebracht, ohne dass das Renommee, das das Fachgebiet in der Öffentlichkeit genoss, gelitten hatte.
Die Presse interessierte sich mittlerweile weit mehr für eine kleine, mit HeLa in Zusammenhang stehende Nachricht, die fast ebenso sensationell war wie Alexis Carrels unsterbliches Hühnerherz. Es begann mit Zell-Sex.
Im Jahr 1960 hatten französische Wissenschaftler entdeckt, dass sich Zellen, die man in der Gewebekultur mit
Weitere Kostenlose Bücher