Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks
Öffentlichkeit aber geriet – zumindest in den Vereinigten Staaten und in Großbritannien – in Panik, als die Presse eine Sensationsmeldung nach der anderen veröffentlichte:
Mensch-Tier-Zellen im Labor gezüchtet … Kommen als Nächstes die Baummenschen? … Wissenschaftler erschaffen Monster
Die Londoner Times bezeichnete die HeLa-Maus-Zellen als die »seltsamste Hybridlebensform, die man im Labor – oder außerhalb davon – jemals gesehen hat«. In einem Leitartikel der Washington Post hieß es: »Wir können uns künstlich erzeugte Maus-Menschen nicht leisten.« Das Blatt bezeichnete die Forschungsarbeiten als »entsetzlich« und forderte, die Wissenschaftler sollten die Menschen in Ruhe lassen und »zu ihren Hefen und Pilzen zurückkehren«. Ein Artikel zeigte das Bild eines Wesens, das halb Mensch, halb Maus war und einen langen, mit Schuppen besetzten Schwanz trug; ein anderer enthielt die Karikaturen einer Nilpferd-Frau, die an einer Bushaltestelle die Zeitung las. Die britische Presse bezeichnete die HeLa-Hybride als »Anschlag auf das Leben« und stellte Harris als übergeschnappten Wissenschaftler dar. Der trug nicht gerade zur Entspannung der Situation bei: Er richtete fast ein Chaos an, als er in einer Dokumentation der BBC auftrat und erklärte, man könne jetzt durch Vereinigung der Eizellen von Menschen und Affen einen »Maffen« herstellen.
In Leserbriefen beklagten sich Harris und Watkins, man habe ihre Äußerungen aus dem Zusammenhang gerissen und ihre Geschichte zu einer Sensationsmeldung aufgebläht, um »zu verzerren, falsch darzustellen und zu erschrecken«. Der Öffentlichkeit versicherten sie, sie würden nur Zellen herstellen und nicht »versuchen, Kentauren zu züchten«. Es half alles nichts. Eine repräsentative Umfrage über ihre Forschungsarbeiten fiel überwältigend negativ aus: Sie wurden als sinnlos und gefährlich bezeichnet, als Beispiel dafür, dass »Menschen Gott spielen wollen«. Und was das öffentliche Ansehen der Zellkultur anging, sollte alles nur noch schlimmer kommen.
19
»Eine krittische Zeit«
M it 16 Jahren, im dritten Jahr der Highschool, wurde Deborah zum ersten Mal schwanger. Als Bobbette es bemerkte, weinte sie. Deborah ging jetzt nicht mehr zur Schule, und Bobbette sagte: »Mach’s dir bloß nicht zu gemütlich, du wirst auf jeden Fall den Abschluss machen.« Deborah brüllte zurück, so dick und schwanger könne sie doch unmöglich im Unterricht erscheinen.
»Spielt überhaupt keine Rolle«, sagte Bobbette. »Du gehst in diese spezielle Mädchenschule, wo fast alle schwanger sind und einen genauso dicken Bauch haben wie du.«
Deborah weigerte sich, aber Bobbette füllte das Anmeldungsformular für sie aus und zerrte sie am ersten Tag zum Unterricht. Am 10. November 1966 brachte Deborah ihren Sohn Alfred Jr. zur Welt. Sie gab ihm den Namen seines Vaters Alfred »Cheetah« Carter – das war der Junge, auf den Galen früher so eifersüchtig war. Jeden Morgen machte Bobbette für Deborah etwas zu essen, brachte sie zur Schule und versorgte dann Alfred den ganzen Tag sowie große Teile der Nacht, damit Deborah zum Unterricht gehen und etwas lernen konnte. Als Deborah ihren Abschluss hatte, beschaffte Bobbette ihr den ersten Arbeitsplatz. Ob es Deborah gefiel oder nicht: Bobbette kümmerte sich um sie und das Baby.
Deborahs ältere Brüder kamen gut allein zurecht. Lawrence machte sich selbstständig und eröffnete im Keller eines alten Stadthauses einen kleinen Lebensmittelladen. Sonny hatte die Highschool abgeschlossen, war zur Airforce gegangen und hatte sich zu einem gut aussehenden Frauenheld entwickelt. Er trieb sich herum, kam aber nur selten in Schwierigkeiten.
Anders sah die Sache jedoch mit Joe aus, ihrem jüngeren Bruder.
Autoritäten erkannte Joe nicht an. Er diskutierte mit Lehrern und stritt sich mit anderen Schülern. In der siebten Klasse brach er die Schule ab, und kurz nach seinem 17. Geburtstag stand er wegen Körperverletzung vor Gericht. Mit 18 ging er zum Militär; dort aber bekam er mit seinem Jähzorn und seiner Einstellung nur noch mehr Ärger. Er widersetzte sich seinen Vorgesetzten und anderen Soldaten. Manchmal lag er am Ende im Krankenhaus, aber in den meisten Fällen führten ihn seine Streitereien in den Einzelarrest, in ein dunkles Loch mit schmutzigen Wänden. Die Zelle ähnelte verdächtig dem Keller, in dem Ethel ihn als Kind eingeschlossen hatte. Er saß gern in der Zelle, denn das bedeutete, dass niemand ihn
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