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Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks

Titel: Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Skloot
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bestimmten Viren infiziert, zusammenballen und manchmal miteinander verschmelzen. Wenn es zu einer solchen Fusion kommt, wird das genetische Material der beiden Zellen kombiniert, als würde eine Samenzelle auf eine Eizelle treffen. Der Fachbegriff für den Vorgang lautet somatische Zellfusion , aber manche Forscher sprachen von »Zell-Sex«. Er unterschied sich in mehreren wichtigen Aspekten von der sexuellen Vereinigung von Samen- und Eizelle: Somatische Zellen stammen aus dem Körper – es sind beispielsweise Hautzellen -, und nach ihrer Vereinigung entstehen alle paar Stunden neue Nachkommen. Und was vielleicht am wichtigsten war: Der Zell-Sex lässt sich vollständig vom Wissenschaftler steuern.
    Unter genetischen Gesichtspunkten sind Menschen entsetzlich schlechte Forschungsobj ekte. Wir sind genetisch promisk – wir paaren uns mit jedem Partner, den wir uns aussuchen – und
hören nicht auf Wissenschaftler, die uns vorschreiben wollen, mit wem wir uns fortzupflanzen haben. Außerdem dauert es anders als bei Pflanzen und Mäusen mehrere Jahrzehnte, bis wir so viele Nachkommen hervorgebracht haben, dass Wissenschaftler daraus sinnvolle Daten gewinnen können. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts hatte man Gene untersucht, indem man Pflanzen und Tiere auf ganz bestimmte Weise gekreuzt hatte – eine glatte mit einer runzeligen Erbse, eine braune mit einer weißen Maus; anschließend hatte man die Nachkommen wiederum gekreuzt, um auf diese Weise herauszufinden, wie die genetischen Merkmale von einer Generation zur nächsten weitergegeben werden. Menschen konnte man nicht auf die gleiche Weise untersuchen. Der Zell-Sex löste dieses Problem, denn nun konnte man Zellen mit beliebigen Merkmalen kombinieren und dann studieren, wie diese Merkmale sich vererben.
    Im Jahr 1965 trieben die britischen Wissenschaftler Henry Harris und John Watkins den Zell-Sex ein weiteres wichtiges Stück voran. Sie verschmolzen HeLa-Zellen mit Mauszellen und schufen so die ersten Hybride aus Tier und Mensch – Zellen, die DNA von Henrietta und einer Maus in gleichen Mengen enthielten. Damit trugen sie dazu bei, dass man die Aktivität und Funktionsweise von Genen besser studieren konnte. Zusätzlich zu dem HeLa-Maus-Hybrid fusionierte Harris HeLa auch mit Hühnerzellen, die ihre Fortpflanzungsfähigkeit verloren hatten. Seine Vermutung dabei: Wenn diese inaktivierten Hühnerzellen mit den HeLa-Zellen fusioniert wurden, könnte irgendetwas im Inneren von HeLa die Hühnerzellen wieder »einschalten«. Er sollte recht behalten. Wie es funktionierte, wusste er noch nicht, aber mit seiner Entdeckung war gezeigt, dass irgendetwas im Inneren der Zellen die Gene reguliert. Und wenn man herausfinden konnte, wie man Krankheitsgene abschaltet, eröffnete sich damit die Möglichkeit für eine Art Gentherapie.

    Nicht lange nach Harris’ Arbeiten mit den HeLa- und Hühnerzellen entdeckten zwei Wissenschaftler der New York University, dass Mensch-Maus-Hybridzellen die menschlichen Chromosomen im Laufe der Zeit verlieren, so dass nur noch die Mauschromosomen übrig bleiben. Damit eröffnete sich die Möglichkeit, menschliche Gene einzelnen Chromosomen zuzuordnen: Man musste nur verfolgen, in welcher Reihenfolge die genetischen Merkmale verschwanden. Wenn ein Chromosom verschwand und damit auch die Produktion eines bestimmten Enzyms aufhörte, musste das Gen für das betreffende Enzym auf dem zuletzt verschwundenen Chromosom liegen.
    Nun fusionierten Wissenschaftler überall in Nordamerika und Europa Zellen und kartierten mit ihrer Hilfe genetische Merkmale auf bestimmten Chromosomen; damit entstand ein Vorläufer der Landkarte des menschlichen Genoms, über die wir heute verfügen. Mithilfe von Hybridzellen schufen sie die ersten monoklonalen Antikörper, spezialisierte Proteine, die später zur Entwicklung von Krebsmedikamenten wie Herceptin dienten, und sie identifizierten die Blutgruppen, was die Sicherheit bei Transfusionen erhöhte. Ebenso studierte man mithilfe monoklonaler Antikörper die Immunfunktion bei Organtransplantationen. Die Hybridzellen waren der Beweis, dass DNA-Moleküle aus zwei Individuen, die nicht miteinander verwandt sind und vielleicht sogar verschiedenen biologischen Arten angehören können, gemeinsam in derselben Zelle existieren, ohne sich abzustoßen. Der Mechanismus für die Abstoßung verpflanzter Organe musste also außerhalb der Zellen zu suchen sein.
    Die Wissenschaftler waren begeistert von den Hybridzellen, die

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