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Die unterirdische Sonne

Die unterirdische Sonne

Titel: Die unterirdische Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Tür.
    Wenn sie im Innern mit sich selbst redete, stotterte Maren nicht. Das hatte sie vor einiger Zeit festgestellt und sich darüber gefreut. Vielleicht, hatte sie überlegt, war ihre Stimme doch noch nicht total kaputt. Davor jedoch, eines ihrer Kopfworte auszusprechen, fürchtete sie sich jetzt maßlos. Sie traute ihnen nicht. Das Vertrauen in alles und jeden war für alle Zeit aus ihr verschwunden.
    Aber nicht aus dir, sagte sie zu Annabel, du glaubst ans Auferstehen, von dem Sophia gesprochen hat, Sophia glaubt fest daran, sie ist Ministrantin, sie muss es tun.
    Leon, der ihr schräg gegenüber saß und mit sich selbst Mensch-ärgere-dich-nicht spielte, warf ihr immer wieder Blicke zu. Anscheinend lag ihm etwas auf dem Herzen, das er loswerden wollte, dachte Maren. Dafür war sie nicht zuständig.
    Das Leben hat sich verändert, sagte sie stumm zu Annabel, und ich hab mich damit abgefunden. Wie in dem Auto, wo ich plötzlich begriffen hab, dass ich keine Chance hab zu fliehen. Ich hatte den Moment verpasst. War das bei dir auch so?
    Sie hob tatsächlich den Kopf. Als säße auf dem Stuhl vor der Wand ihre Freundin, gesund geworden und munter wie früher.
    Der Stuhl war leer. Den Stuhl daneben hatte Conrad ein Stück weggerückt, um mit sich allein zum blöden Fernseher zu glotzen. Seit dem frühen Morgen tat er nichts anderes. Er rührte sich auch dann nicht von der Stelle, als Sophia Eike etwas zu trinken brachte und Eike sich später ins Bad schleppte. Stell dir das vor, Annabel, Eike kann nicht mehr aufrecht gehen, und Conrad fragt nicht mal, ob er ihm helfen soll. Hockt bloß da und glotzt.
    Auch mit Sophia, die hinter ihr auf der Matratze lag, hatte Maren seit gestern Abend kein Wort gewechselt. Überhaupt, so schien ihr, hatte jeder von ihnen dieselbe Entscheidung getroffen. Nichts mehr reden. Allein bleiben für immer.
    Das zumindest war das, was sie für sich selbst entschieden hatte. Und das durfte sie auch Annabel nicht erzählen, auf keinen Fall, sonst würde sie ihr doch den letzten Rest Mut stehlen und wäre eine schlechte Freundin. Für Annabel sparte sie ihre Worte wie kostbare Schneeflocken, die sich in Sterntaler verwandeln würden.
    Mit dieser Vorstellung saß sie am Tisch und machte ein helles Gesicht, das Leon so irritierte, dass er immer, wenn er hinschaute, aus Versehen eine seiner Spielfiguren umfegte.
    Er war ihr egal. Sie alle waren ihr egal geworden. Auch Eike, der vielleicht bald sterben musste. Und sich selbst war sie auch egal. Sie empfand nichts Schlimmes bei dem Gedanken. Es war, als hätte sie zum ersten Mal vor nichts mehr Angst. Als wäre Eikes Rückkehr wie eine Auferstehung für sie gewesen, ein erhabenes Erlebnis für die Ewigkeit.
    Sie war nicht so christlich erzogen worden wie Annabel, und schon gar nicht wie Sophia. Ihre Eltern hatten ihr früh vermittelt, dass sie Dinge wie Wunder und Himmelfahrten und Auferstehung für Märchen hielten. An Gott hatte sie eigentlich immer nur wegen der anderen Kinder geglaubt, besonders wegen Annabel. Spätestens, nachdem die beste Freundin ihrer Mutter mit neununddreißig Jahren an Krebs gestorben und Annabel am helllichten Tag von einem außer Kontrolle geratenen Auto überrollt worden war, war Gott für Maren ein unberechenbarer Irrer, der im Café Stroh je nach Laune mal ein Mädchen vergötterte und mal verfluchte. Und niemand kapierte, wieso.
    Trotzdem, dachte sie fast ununterbrochen, war ihr Eikes Auftauchen wie ein Wunder vorgekommen – nicht, weil er noch lebte, womit sie schon gar nicht mehr gerechnet hatte. Sondern, weil er ihr eine fast heilige Botschaft mitgebracht hatte.
    Von dieser Botschaft zehrte sie seither wie von einem magischen Brot.
    Die Botschaft lautete: Du darfst sterben, denn deine Zeit ist vorbei.
    Das hatte sie jetzt endlich verstanden und akzeptiert. Da war sowieso kein Leben mehr in ihr, kein Funken Morgenrot. Also kam Eike genau im richtigen Moment zurück. Falls es Eike war und nicht nur sein Geist, der noch so lange bei ihr blieb, bis auch sie gestorben war.
    Wie ich, dachte Maren, an deinem Bett geblieben bin, Annabel, so harrt Eikes Geist aus, und am Ende gehe ich weg, und was Neues fängt an.
    Sie stellte sich vor, wie Annabel am ersten Advent, wenn am großen Christbaum in der Eingangshalle des Krankenhauses die Lichter brannten, die Augen aufschlug und all die Stimmen wiedererkannte, die sie so lange vermisst hatte. Was für ein Glück, dachte Maren, und das gleiche Glück werde auch ich bald

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