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Die unterirdische Sonne

Die unterirdische Sonne

Titel: Die unterirdische Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Schmerzen beugte er sich zu Eike hinunter.
    »Er lebt.« Sophia nahm Eikes Puls wahr und empfand ihn wie den eines Vogels.
    »W-was p-passiert jetzt?«
    Die Frage vermischte sich mit Eikes stummer Stimme, die, für alle hörbar, noch immer aus den Steinen drang.
    »Warten wir halt.« Conrad richtete sich auf und ließ sich seine Angst nicht anmerken.
    »W-worauf d-denn?«
    Conrad bereute seine Bemerkung. Sie entsprach nicht im Geringsten dem, was er dachte. Maren hatte recht: Worauf sollten sie noch warten? Nichts war ungewiss, auf nichts musste gewartet werden. Alles war ganz einfach. Die Männer würden kommen und sie abholen, getrennt vermutlich, immer nur einen. Für das, was dann passierte, brauchte man keine Fantasie. Wie sein Vater sagte: Mach den falschen Schritt und dein Gegner grätscht dich von hinten nieder. So einfach war das. Auf dem Platz und außerhalb. Eigentlich hatte er Maren angelogen und das hatte sie nicht verdient.
    »Wir werden sterben.« Conrad sah den daliegenden Eike an, obwohl er ihn nicht dafür verantwortlich machte. Eike war vielleicht schuld, aber nicht verantwortlich, dachte Conrad und spürte eine Berührung an seinem Arm.
    Maren zupfte an seinem Sweatshirt und schaute ihn aus geröteten, um Hilfe bettelnden Augen an, wie ein Kind im dunklen Wald.
    Da fiel ihm ein, dass sie ein Kind war. Wie Eike, wie Leon, sogar wie Sophia, die angeblich schon vierzehn war. »So ist das halt. Weglaufen können wir nicht.«
    »K-können wir sch-schon.« Maren versuchte ihn zu schubsen. Sie war zu schwach dazu. Conrad bewegte sich nicht von der Stelle.
    »Was redest du für einen Unfug?«, fragte Sophia.
    »M-meinst d-du mich? M-mich?«
    »Ich mein euch beide.«
    »Stimmt doch, was er sagt.« Leons Stimme versickerte fast in der morastigen Luft. Ein unangenehmer Geruch breitete sich aus, dessen Herkunft niemand wissen wollte.
    Mit einem Satz sprang Sophia auf und packte Leon mit beiden Händen am Kopf. Er erschrak so sehr, dass er einen dumpfen Laut von sich gab, für den er sich sofort schämte.
    »Niemand stirbt«, sagte Sophia nah vor seinem Gesicht. Er spürte ihren Atem wie einen vertrauten, freundlichen Wind. »Hast du verstanden, Leon? Wir wollen eines Tages am Meer sein und frei. Hörst du mich?«
    Er nickte, aber nur in Gedanken. Sophias Hände blieben da. »Wir sprechen nie wieder über den Tod, was auch passiert. Ja?« Sie wandte sich an Conrad. »Und du lass deine Sprüche. Und du …« Sie meinte Maren. »… Du legst dich jetzt hin und schläfst. Kümmer dich um nichts, schlaf. Jetzt sofort.«
    Wie von einer Schnur gezogen, wankte Maren zu ihrer Matratze. Sie drehte ihr Gesicht von den anderen weg, kniete sich mit einer schwerfälligen Bewegung hin und legte sich auf die Seite. Sie zog ihre Decke bis zum Kinn und lag schließlich so reglos da wie Eike.
    »Wir können ihn doch nicht einfach so lassen«, sagte Conrad.
    Sophia deutete auf Eikes Matratze. »Hol die Decke und deck ihn zu.«
    Warum sie ihn so anfauchte, verstand Conrad nicht. Er holte die Decke und breitete sie über Eike aus und fragte sich, was das nützen sollte. Der Junge brauchte einen Arzt, einen professionellen Betreuer, er musste schnellstmöglich hier raus und in ein Krankenhaus.
    »Und jetzt?«, fragte Conrad. »Jetzt liegt er immer noch da. Glaubst du, er wird von allein wieder gesund?«
    »Komm«, sagte Leon. »Wir ziehen die Matratze rüber und legen ihn drauf.«
    Daran hatte Conrad auch schon gedacht.
    »Bravo«, sagte Sophia. Sie sah den beiden zu, wie sie die graue Matratze an der Längsseite packten, umständlich hochhoben und zu Eike schoben. Unbeholfen standen sie da und schienen zu überlegen, wie sie das sperrige Ding unter Eikes Körper bringen könnten.
    Sophia warf ihnen einen verächtlichen Blick zu. »Was macht ihr denn?«
    »Das, was du gesagt hast«, meinte Leon.
    »Was hab ich denn gesagt?«
    »Dass wir …« Verwirrt sah er Conrad an. »Hast du das gesagt?«
    Sophia ging in die Hocke und schlug die Hände vors Gesicht.
    Eine Zeit lang war es still. Insgeheim horchten die drei auf Geräusche im Keller.
    Es schien, als wäre es noch nie so ruhig gewesen.
    Manchmal hörte man durch den Schlitz oberhalb der Tür leise Musik aus der Ferne.
    Sophia hob den Kopf. »Schiebt die Matratze wieder an ihren Platz und dann helft mir, Eike hochzuheben und in sein Bett zu bringen.«
    Diese Bemerkung löste in Leon eine Erinnerung aus. Als hätte jemand Nägel in sein Herz gestreut. Er fing an zu weinen. Innerhalb

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