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Die unterirdische Sonne

Die unterirdische Sonne

Titel: Die unterirdische Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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traurigen Augen und grauen Wangen. Beim Treppensteigen hielt er sich am Geländer fest, und wenn er einkaufte, musste er erst Luft holen, bevor er ein Geschäft betrat. Viel kaufte er nicht ein, hauptsächlich Gemüse und Salat, Obst und Kartoffeln. Und sehr viel Bier.
    In seiner Wohnung sammelte der Mann – er hieß Montag – Unmengen von Flaschen, die er in Plastiktüten aufbewahrte. Samstags – er ging nur an diesem einen Tag einkaufen – nahm er manchmal ein paar Flaschen mit. Wenn er zu viel getrunken hatte, stolperte er, und das Klirren war auf dem ganzen Stockwerk zu hören.
    Vor allem seine Nachbarin, Frau Bauchberg, regte sich darüber auf. Wenn sie besonders schlecht gelaunt war, also eigentlich immer, hetzte sie ihren Hund über den Flur, der dann so lange die Tür von Herrn Montag ankläffte, bis andere Nachbarn sich beschwerten und mit der Polizei drohten.
    Obwohl die alte und bucklige Frau mit allen möglichen Mitteln und bei jeder Gelegenheit andere Mitbewohner terrorisierte, hatte sie die allergrößte Angst vor der Polizei. Sie wusste genau, was passieren würde, falls sie noch einmal eine Anzeige bekäme.
    Dann käme ihr Hund ins Tierheim und wurde vielleicht sogar eingeschläfert. Finca, so lautete der Name der Hündin, die in Hundejahren mindestens genauso alt war wie ihr Frauchen, hatte ein schwarzes kurzes Fell mit rotbraunen Streifen. Aus ihrem fetten Gesicht grinste ein bösartiges Gebiss heraus. Sie wog ungefähr vierzig Kilo und hasste jeden Menschen – außer Frau Bauchberg. Finca war ein Rottweiler, berüchtigt im ganzen Viertel, gefürchtet von den Kindern und verabscheut von den Erwachsenen.
    Frau Bauchberg behauptete, Finca wäre ein freundliches und gehorsames Tier, das Kinder mochte.
    Übrigens wusste niemand, wie Frau Bauchberg in Wahrheit hieß. Herr Montag hatte ihr den Namen gegeben, weil sich unter ihrem Kleid eine riesige Kugel wölbte. An ihrem Klingelschild stand kein Name und sie bekam nie Post. Im Supermarkt sprach niemand sie an. Auf der Straße hatte kein Passant Lust, mit ihr zu plaudern, und die wenigen, die es versuchten, bellte Finca mit gefletschten Zähnen in die Flucht.
    Herr Montag dagegen hieß wirklich Montag, das müsst ihr schon glauben. Genau wie Frau Morgenroth, die gleich auftauchen wird, Frau Morgenroth hieß.
    Was nämlich jedem, der es bemerkte, seltsam vorkam, war, wie der Rottweiler der Frau Bauchberg auf die Frau im roten Mantel reagierte.
    Frau Morgenroth, die, wann immer sie ihre Wohnung verließ, einen roten Mantel und schwarze Stiefel trug, schien nicht die geringste Furcht vor dem bulligen Tier zu haben. Das bedeutete nicht, dass sie ihn streichelte oder mit ihm spielte, das hätte sie nie getan. Vielmehr machte sie eigentlich nichts.
    Sie blieb einfach stehen und schaute zu, wie der dicke Hund mit seinem dicken Frauchen näher kam. Der Hund klemmte den Schwanz ein und schlich verdruckst über den Bürgersteig. Das war immer wieder ein ungewöhnliches Schauspiel, Herr Montag hatte es schon oft vom Fenster aus beobachtet. Über die Frau im roten Mantel wusste er praktisch nichts, nur dass sie wie er allein lebte, im Erdgeschoss, und offensichtlich wie er wenig Freunde hatte. Das stimmte nicht ganz. Genau genommen, hatte sie keinen einzigen Freund. Und sie wollte auch keinen.
    Seit dem Tag, an dem sie ihre vierjährige Tochter beerdig t hatte, wollte Frau Morgenroth nur noch allein sein. Sie hatte nichts dagegen, in einem Lokal zu sitzen, einen Wein zu trinken und sich mit Leuten, die sie nicht kannte, über Alltägliches zu unterhalten. Aber sie erzählte nie etwas über sich und fragte auch andere nicht nach ihrem Leben. Ließ man sie in Ruhe und redete bloß banales Zeug, zeigte sie ein freundliches Gesicht. Bedrängte man sie oder stellte Fragen, blickte sie erst grimmig drein, dann bezahlte sie ihre Zeche und verschwand ohne ein weiteres Wort.
    So lebte sie unauffällig vor sich hin. Die einzigen beiden Dinge, die Herrn Montag eines Tages irritiert hatten und bis heute beschäftigten, waren der immer gleiche rote Mantel und die ungewöhnlichen Begegnungen mit dem schwarzen Hund.
    Manchmal, auf der Straße oder in einem Geschäft, wollte Herr Montag die Frau ansprechen und etwas Nettes zu ihr sagen. Doch dann dachte er jedes Mal, dass sie nicht der Typ für nette Worte war und man sie einfach nicht volllabern durfte.
    Dabei hätte sie sich gewünscht, von ihm angesprochen zu werden. Von dem Moment an, als sie ihn das erste Mal gesehen

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