Die unterirdische Sonne
Köstlichkeit bekam nicht nur Goliat nie genug. Aus den Nachbardörfern strömten die Frauen herbei, um sich das Rezept erklären zu lassen, doch keine von ihnen brachte am Ende einen so schmackhaften Apfelkuchen zustande wie Echna.
Goliat war super stolz auf seine Mama, und wenn er nach dem Abendessen und dem Nachtisch mit warmem Bauch unter dem Baum saß, von dem die saftigen Äpfel stammten, wünschte er, dass auch er irgendwann mal etwas so Einmaliges schaffen könnte wie seine Mama.
Wenn ich ganz groß bin, dachte er, werde ich die Sterne zählen. Ich steck meinen Kopf einfach in die Zwischenräume und seh mich nach allen Seiten um. So werd ich der Wissenschaft einen Dienst erweisen und bekomme, wenn ich Glück hab, ein Empfehlungsschreiben von einem berühmten Astronomen.
So träumte er die ganze Nacht und ahnte nicht, dass er bald tatsächlich ein Schreiben erhalten sollte. Allerdings nicht von einem Meister der Sternenkunde.
Den Brief, den Goliat erhielt, musste ihm ein Nachbar vorlesen, weil in Goliats Familie niemand lesen und schreiben gelernt hatte. In dem Brief stand, dass der Junge nun groß und kräftig genug sei, um seinen Dienst im Heer anzutreten. Er sei fähig, den Speer weiter als jeder andere zu werfen. Auf so einen Krieger könne das Land unmöglich verzichten.
Goliats Mama weinte und sein Vater versank in mürrischem Schweigen. Er hatte gehofft, sein Sohn würde ihm in der Schmiede helfen und diese bald übernehmen. Seine Mama weinte, weil sie Todesangst um ihren Kleinen hatte. Und er war ihr Kleiner, obwohl er für sein Alter riesengroß und bärenschwer war. Egal, Schwester Regal, er war ein Junge, und ein Junge hatte das Recht auf eine unbeschwerte Kindheit.
Goliat dachte an was ganz anderes.
Wenn ich in den Krieg zieh und gut bin, dachte er, dann krieg ich bestimmt die Erlaubnis zu studieren.
Zu seiner Mama sagte er: Ich geh gleich los und nehm das Schwert mit, das mir Papa zum vierten Geburtstag geschenkt hat.
Unter unaufhörlichen Tränen drückte seine Mama ihn an sich. Er musste ihr versprechen, bald zurückzukehren. Er versprach es, aber hinter seinem Rücken kreuzte er die Finger. Blöde war er nämlich nicht, auch wenn viele Leute im Philisterland das glaubten.
Als er im Lager ankam, waren die Truppen schon ausgerückt. Für die zwanzig Kilometer hatte er nicht mehr als neunundfünfzig Minuten gebraucht. Ein betrunkener Wachmann erklärte ihm, der Angriff gegen die Judäer habe keinen Aufschub geduldet.
Was soll ich jetzt tun?, fragte Goliat verärgert.
Der Wachmann betrachtete den riesigen Kerl mit dem riesigen Schwert. Hol ein paar Vögel aus der Luft und brat sie für die Verletzten, sagte er. Und bevor er ein zweites Mal seinen Kopf heben konnte, hatte Goliat mit bloßen Händen sechs Tauben gefangen und ihnen den Hals umgedreht. Dann rupfte er sie und briet sie über dem Feuer.
Das war echt das Letzte, was er jemals werden wollte: Koch in einem Lazarett.
Vor Zorn entwurzelte er mehrere Birken und verwandelte sie mit gezielten Handkantenschlägen in Kleinholz. Der eine oder andere Verwundete glaubte schon, er wäre ins Delirium gefallen, als er Goliat dabei zusah.
Plötzlich hörte Goliat eine Stimme hinter sich.
Du bist aber ein starker Junge, sagte die Stimme.
Er drehte sich um. Da stand ein rothaariges Mädchen in einem langen weißen Kleid und mit zwei goldenen Ohrringen, die in der Sonne funkelten. Sie lächelte. Goliat starrte sie an. Vor Schreck wich er zurück, trat auf einen Holzscheit, knickte mit dem Fuß um, verlor das Gleichgewicht, ruderte mit den Armen und plumpste wie ein Sack voller Backsteine auf den Boden. Das Mädchen lachte mit heller Stimme, und Goliat wurde rot wie eine Pfefferschote.
Bis er sich mühsam und schweißgebadet aufgerichtet und erst mal ausgiebig Luft geholt hatte, war das Mädchen verschwunden. Spurlos.
Er hielt überall Ausschau nach ihr. Er fragte den betrunkenen Wächter, der jetzt noch betrunkener war als vorher und nichts mitgekriegt hatte. Er durchquerte das ganze Lager und hob den Vorhang vor jedem Zelt. Er lief sogar einen Hügel hinauf, um einen besseren Überblick zu haben.
Das Mädchen war nicht mehr da.
Ich hab geträumt, dachte Goliat traurig, die heiße Sonne hat meine Augen geblendet.
Doch nachts, während er schlief und sein Schnarchen die Wölfe verscheuchte, träumte er immer wieder von dem rothaarigen Mädchen und ihrem wundersamen Lächeln und ihrem eigenartigen Duft. Und jedes Mal, wenn er die Hand
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