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Die Unvollendete: Roman (German Edition)

Die Unvollendete: Roman (German Edition)

Titel: Die Unvollendete: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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schlimmer als der Tod«, stimmte Ursula ihr zu.
    Klara rahmte gelegentlich Fotos für ein Studio in der Schellingstraße. Die Tochter einer Bekannten von Frau Brenner arbeitete dort und hatte ein Wort für sie eingelegt. Klara und die Tochter – Eva – waren gemeinsam im Kindergarten gewesen. »Aber Rahmen ist wohl kaum Kunst«, sagte Klara. Der Fotograf – Hoffmann – war der »persönliche Fotograf« des neuen Reichskanzlers, »deswegen kenne ich sein Gesicht ganz genau«, sagte sie.
    Die Brenners hatten nicht viel Geld (Ursula vermutete, dass sie ihr deshalb ein Zimmer vermieteten), und alle, die Klara kannte, waren arm, aber 1933 war Armut überall ein weit verbreitetes Phänomen.
    Trotz Geldmangels war Klara entschlossen, den Sommer zu genießen. Sie gingen in den Carlton-Teeraum oder ins Café Heck im Hofgarten und aßen Krapfen und tranken Schokolade, bis ihnen schlecht war. Sie machten stundenlange Spaziergänge im Englischen Garten und aßen Eis oder tranken Bier, ihre Gesichter gerötet von der Sonne. Sie ruderten und schwammen mit Freunden von Helmut, Klaras Bruder – ein sich endlos drehendes Karussell von Walters, Werners, Kurts, Heinzes und Gerhards. Helmut selbst war in Potsdam, ein Kadett, ein Jungmann in einer neuen Art Militärschule, die der Führer gegründet hatte. »Er ist ganz wild auf die Party«, sagte Klara auf Englisch. Ihr Englisch war ziemlich gut, und sie übte es gern mit Ursula.
    »Auf Partys«, korrigierte Ursula sie. »Wir würden sagen, er ist ganz wild auf Partys.« Klara lachte und schüttelte den Kopf. »Nein, nein, die Partei, die Nazis. Weißt du nicht, dass es seit letztem Monat nur noch eine Partei gibt?«
    »Als Hitler an die Macht kam«, schrieb Pamela didaktisch, »hat er das Ermächtigungsgesetz durchgebracht, in Deutschland heißt es Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich. Das ist ein phantasievoller Name für die Abschaffung der Demokratie.«
    Ursula antwortete unbekümmert: »Aber die Demokratie wird sich wie immer wieder durchsetzen. Es wird vorübergehen.«
    »Nicht ohne Hilfe«, erwiderte Pamela.
    Pamela nörgelte ständig an Deutschland herum, war jedoch leicht zu ignorieren, wenn man lange Nachmittage damit verbrachte, mit Walters, Werners, Heinzes und Gerhards faul in einem städtischen Schwimmbad oder am Fluss in der Sonne zu liegen.
    Ursula staunte, dass diese Jungen mit den kurzen Shorts und beunruhigend kleinen Badehosen nahezu nackt herumliefen. Sie stellte fest, dass die Deutschen im Allgemeinen nichts dagegen hatten, sich vor den Augen aller auszuziehen.
    Klara kannte auch andere, intellektuellere Leute – ihre Freunde von der Kunstakademie. Sie zogen die Dunkelheit vor, verrauchte Cafés oder ihre eigenen verlotterten Wohnungen. Sie tranken und rauchten viel und diskutierten endlos über Kunst und Politik. (»Alles in allem«, schrieb sie an Millie, »werde ich von diesen beiden Gruppen also umfassend gebildet.«) Klaras Akademiefreunde waren ein abgerissener, regimekritischer Haufen, die München nicht mochten, offenbar der Sitz von »kleinbürgerlichem Provinzialismus«, und die dauernd davon sprachen, nach Berlin zu ziehen. Sie hatten jede Menge Pläne, fiel Ursula auf, setzten jedoch kaum etwas in die Tat um.
    Klara war einer anderen Art von Unlust anheimgefallen. Ihr Leben »steckte fest«, sie war heimlich verliebt in einen Professor an der Kunstakademie, einen Bildhauer, aber er machte einen Familienurlaub im Schwarzwald. (Widerstrebend gab sie zu, dass die »Familie« aus seiner Frau und zwei Kindern bestand.) Sie wartete darauf, dass sich ihr Leben klärte, sagte sie. Das sind nur Ausflüchte, dachte Ursula. Aber sie war schließlich auch nicht besser dran.
    Ursula war natürlich noch Jungfrau, »intakt«, wie Sylvie es nannte. Nicht aus moralischen Bedenken, sondern einfach weil sie noch niemanden getroffen hatte, den sie mochte. »Du musst sie nicht mögen «, sagte Klara und lachte.
    »Ja, aber ich will sie mögen.« Sie schien vielmehr wie ein Magnet auf unappetitliche Typen zu wirken – der Mann im Zug, der Mann auf dem Weg – und sorgte sich, dass sie etwas in ihr sahen, was sie selbst nicht sehen konnte. Sie fühlte sich ziemlich steif und englisch, verglichen mit Klara und ihren Künstlerfreunden oder den Kumpanen des abwesenden Helmut (die sich schrecklich gut benahmen).
    Hanne und Hilde hatten Klara und Ursula überredet, sie zu einer Veranstaltung ins örtliche Sportstadion zu begleiten. Ursula nahm

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