Die Unvollendete: Roman (German Edition)
während ihre Jungen – im Juni bereits hochgewachsene, langbeinige Tiere – sich neben ihr kabbelten und Purzelbäume schlugen.
»Was soll ich denn sonst tun?«, sagte Ursula ratlos (hoffnungslos). Bridget kam mit einem Tablett mit Tee und Kuchen und stellte es auf den Tisch zwischen ihnen. »Kurzschrift und Schreibmaschine lernen und im öffentlichen Dienst arbeiten? Das klingt auch ziemlich fade. Ich meine, was kann eine Frau sonst tun, wenn sie nicht ohne Zwischenstation von den Eltern zu einem Ehemann ziehen will?«
»Eine gebildete Frau«, verbesserte Millie sie.
»Eine gebildete Frau«, stimmte Ursula ihr zu.
Bridget murmelte etwas Unverständliches, und Ursula sagte: »Danke, Bridget.«
(» Du hast Europa gesehen«, sagte sie ziemlich vorwurfsvoll zu Sylvie, »als du jünger warst.«
»Ich war nicht allein, mein Vater war dabei«, sagte Sylvie. Doch überraschenderweise schien dieses Argument Wirkung zu zeigen, und es war letztlich Sylvie, die das Jahr im Ausland gegen Hughs Einwände durchsetzte.)
Bevor sie nach Deutschland aufbrach, ging Izzie mit ihr seidene Unterwäsche und Schals, hübsche, mit Spitze eingefasste Taschentücher, »ein wirklich gutes Paar Schuhe«, zwei Hüte und eine neue Handtasche einkaufen. »Erzähl deiner Mutter nichts davon«, sagte sie.
In München sollte sie in der Elisabethstraße bei der Familie Brenner wohnen – Mutter, Vater, drei Töchter (Klara, Hildegard, Hannelore) und ein Sohn, Helmut, der in einem Internat war. Hugh hatte bereits ausgiebig mit Herrn Brenner korrespondiert, um seine Eignung als Gastgeber zu überprüfen. »Ich werde sie fürchterlich enttäuschen«, sagte Ursula zu Millie. »Herr Brenner wird den Messias erwarten angesichts der Vorbereitungen, die sie getroffen haben.« Herr Brenner seinerseits war Lehrer an der Deutschen Akademie und hatte es eingerichtet, dass Ursula Anfängerklassen Englischunterricht und mehreren Leuten Privatunterricht geben konnte. Das erzählte er ihr, als er sie vom Bahnhof abholte. Sie war niedergeschlagen, da sie noch nicht sofort hatte arbeiten wollen und nach der langen und überaus anstrengenden Zugfahrt erschöpft war. Der Schnellzug vom Gare de l’Est in Paris war alles andere als schnell gewesen, und sie hatte unter anderen zusammen mit einem Mann im Abteil gesessen, der abwechselnd eine Zigarre rauchte und von einer ganzen Salami abbiss, was ihr beides unangenehm war. (»Und von Paris habe ich nur einen Bahnsteig gesehen«, schrieb sie Millie.)
Der salamiessende Mann war ihr in den Gang gefolgt, als sie nach der Damentoilette suchte. Sie dachte, er wollte in den Speisewagen gehen, doch als sie vor der Toilette stand, versuchte er sich zu ihrer Beunruhigung nach ihr hineinzudrängen. Er sagte etwas, was sie nicht verstand, auch wenn die Bedeutung anzüglich zu sein schien (die Zigarre und die Salami wirkten jetzt wie ein merkwürdiges Vorspiel). »Lassen Sie mich in Ruhe«, sagte sie entschlossen, aber er fuhr fort, gegen die Tür zu drücken, während sie sich von der anderen Seite dagegenstemmte. Sie vermutete, dass dieser eher höfliche als gewaltsame Kampf auf Dritte komisch wirken musste. Ursula wünschte, es wäre jemand im Gang, den sie um Hilfe bitten könnte. Sie wollte sich gar nicht vorstellen, was der Mann ihr antun würde, sollte es ihm gelingen, sich mit ihr in der winzigen Toilette einzusperren. (Später fragte sie sich, warum sie nicht einfach geschrien hatte. Was für ein Dummkopf sie doch war.)
Sie wurde von zwei Schutzstaffel-Offizieren, elegant in ihren schwarzen Uniformen mit den silbernen Abzeichen, »gerettet«, die aus dem Nirgendwo auftauchten und den Mann festhielten. Sie wiesen ihn streng zurecht, die Hälfte davon verstand sie nicht, und brachten sie dann sehr galant in ein anderes Abteil, das für Frauen reserviert war. Als die Offiziere wieder gegangen waren, konnten sich die anderen Frauen gar nicht genug ereifern über das fesche Aussehen der SS-Männer.
Der Zug fuhr mit Verspätung in den Münchner Bahnhof ein. Es habe einen Unfall gegeben, sagte Herr Brenner, ein Mann sei aus dem Zug gefallen.
»Wie schrecklich«, sagte Ursula.
Es war Sommer, dennoch war es kühl und regnete heftig. Die düstere Atmosphäre blieb nach ihrer Ankunft in der riesigen Wohnung der Brenners bestehen, in der keine Lampen den Abend erhellten und der Regen gegen die von Spitzenvorhängen bedeckten Fenster prasselte, als wäre er entschlossen hereinzubrechen.
Gemeinsam hatten Ursula und Herr
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