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Die Unvollendete: Roman (German Edition)

Die Unvollendete: Roman (German Edition)

Titel: Die Unvollendete: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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Cornwall. Als sie endlich eine geeignete Stelle im Schutz einer Hecke fand, brüllte sich Teddy bereits die Lunge aus dem Leib, die kleinen Fäuste kämpferisch gegen die Ungerechtigkeit der Welt geballt.
    Kaum hatte er sich an ihrer Brust beruhigt, als sie zufällig aufblickte und George Glover entdeckte, der am anderen Ende des Felds zwischen den Bäumen hervortrat. Als er sie sah, blieb er stehen und starrte sie an wie ein erschrockenes Reh. Einen Augenblick lang stand er reglos da, doch dann hob er kurz die Kappe an und sagte: »Immer noch heiß, Ma’am.«
    »So ist es«, sagte Sylvie rasch und sah George nach, der zu dem aus fünf Querlatten bestehenden Gatter eilte, das die Hecke in der Mitte unterbrach, und so mühelos darübersprang wie ein großes Jagdpferd über ein Hindernis.

    Aus sicherer Entfernung sahen sie dem riesigen Mähdrescher zu, wie er lautstark den Weizen fraß. »Hypnotisch, nicht wahr?«, sagte Bridget. Sie hatte das Wort vor kurzem gelernt. Sylvie nahm ihre hübsche, kleine goldene Taschenuhr heraus, ein Gegenstand, den Pamela gern besessen hätte, und sagte: »Ach du meine Güte, schaut nur, wie spät es ist.« Niemand schaute. »Wir müssen nach Hause.«
    Gerade als sie gehen wollten, rief George Glover ihnen »He, ihr da!« zu und galoppierte über das Feld auf sie zu. Er trug etwas in seiner Kappe. Zwei kleine Häschen. »Oh«, sagte Pamela mit vor Aufregung tränenerstickter Stimme.
    »Kaninchen«, sagte George Glover. »Ganz allein mitten auf dem Feld. Ihre Mutter ist verschwunden. Wollt ihr sie nicht mitnehmen? Für jede eins.«
    Auf dem Nachhauseweg trug Pamela die beiden kleinen Kaninchen in ihrer Schürze, hielt sie stolz vor sich wie Bridget das Tablett mit den Teesachen.

    »Schaut euch nur an«, sagte Hugh, als sie müde durchs Gartentor kamen. »Golden und von der Sonne geküsst. Ihr seht aus wie echte Landfrauen.«
    »Eher rot als golden, fürchte ich«, sagte Sylvie reumütig.
    Der Gärtner war da. Sie nannten ihn den alten Tom (»Wie einen Kater«, sagte Sylvie. »Meinst du, dass er früher der junge Tom genannt wurde?«). Er arbeitete sechs Tage in der Woche, die Hälfte der Zeit bei ihnen, die andere Hälfte bei ihren Nachbarn. Die Nachbarn, die Coles, sprachen ihn mit »Mr. Ridgely« an. Er ließ nicht durchblicken, was ihm lieber war. Die Coles lebten in einem ähnlichen Haus wie die Todds, und Mr. Cole arbeitete wie Hugh in einer Bank. »Jude«, sagte Sylvie in demselben Tonfall, in dem sie »Katholik« gesagt hätte – fasziniert und zugleich beunruhigt von etwas so Exotischem.
    »Ich glaube nicht, dass sie ausüben«, sagte Hugh. Was ausüben?, fragte sich Ursula. Pamela musste jeden Tag vor dem Abendessen die Tonleitern auf dem Klavier üben, ein Klirren und Knallen, das nicht sehr schön anzuhören war.
    Mr. Cole war, laut seinem ältesten Sohn Simon, mit einem ganz anderen Namen geboren worden, der für englische Zungen viel zu schwer auszusprechen war. Der mittlere Sohn Daniel war mit Maurice befreundet, denn obwohl die Erwachsenen nicht miteinander verkehrten, kannten sich die Kinder. Simon, »ein Streber« (behauptete Maurice), half Maurice jeden Montagabend bei den Matheaufgaben. Sylvie, offenbar verwirrt von seinem Judentum, wusste nicht recht, wie sie diese unangenehme Arbeit entgelten sollte. »Und wenn ich ihm etwas gebe, was ihn beleidigt?«, sinnierte sie. »Wenn ich ihm Geld gebe, glauben sie womöglich, dass es eine Anspielung auf ihren allseits bekannten Ruf als Geizhälse ist. Wenn ich ihm Süßigkeiten gebe, passen sie womöglich nicht zu ihren Essensvorschriften.«
    »Sie praktizieren nicht«, sagte Hugh. »Sie schauen da nicht so genau hin.«
    »Benjamin schaut sehr genau hin«, sagte Pamela. »Gestern hat er ein Amselnest gefunden.« Sie starrte Maurice dabei finster an. Er hatte sie dabei angetroffen, wie sie die schönen Eier bewunderten, die blau mit braunen Sprengseln waren, hatte die Eier genommen und sie auf einen Stein geworfen. Und es wahnsinnig lustig gefunden. Pamela warf daraufhin einen kleinen (nun ja, eher kleinen) Stein nach ihm, der ihn am Kopf traf. »Da«, sagte sie. »Damit du weißt, wie es sich anfühlt, wenn man deine Schale zerbricht.« Jetzt hatte er einen hässlichen Kratzer und einen blauen Fleck an der Schläfe. »Hingefallen«, sagte er kurz angebunden, als Sylvie sich erkundigte, wie er sich die Verletzung zugezogen hatte. Von Natur aus hätte er Pamela verpetzt, doch dann wäre seine anfängliche Sünde ans

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