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Die Unvollendete: Roman (German Edition)

Die Unvollendete: Roman (German Edition)

Titel: Die Unvollendete: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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waren wie die rosa Ballen in den Pfoten junger Kätzchen. Aber dieser war besonders. Sie küsste den Flaum auf seinem Kopf.
    In der milden Luft schwebten Worte herauf. »Alles Schöne hat einmal ein Ende«, hörte sie Hugh sagen, als er Lily und Margaret zum Abendessen ins Haus geleitete. »Ich glaube, die poetisch veranlagte Mrs. Glover hat einen Rochen gebacken. Aber vielleicht wollt ihr ja zuerst meinen Petter-Generator sehen?« Die Frauen zwitscherten wie die albernen Schulmädchen, die sie noch immer waren.

    Ursula erwachte von aufgeregten Rufen und Händeklatschen. »Elektrizität!«, hörte sie eine von Sylvies Freundinnen ausrufen. »Wie wunderbar!«
    Sie schlief gemeinsam mit Pamela in einem Zimmer auf dem Dachboden. Sie hatten die gleichen kleinen Betten, zwischen denen ein Flickenteppich lag und ein Nachtschränkchen stand. Pamela schlief mit den Händen über dem Kopf und schrie manchmal auf, als würde sie von einer Nadel gestochen (ein schrecklicher Scherz, den Maurice liebte). Im Nachbarzimmer auf der einen Seite sägte Mrs. Glover Bäume, und auf der anderen murmelte sich Bridget durch die Nacht. Bosun schlief vor ihrer Tür, immer auf der Wacht, auch wenn er schlief. Manchmal jaulte er leise, aber sie wussten nicht, ob aus Freude oder aus Schmerz. Der Dachboden war ein dicht bevölkerter und unruhiger Ort.
    Später, als sich die Besucherinnen verabschiedeten, erwachte Ursula noch einmal. (»Dieses Kind hat einen unnatürlich leichten Schlaf«, sagte Mrs. Glover, als wäre es ein Charakterfehler, der korrigiert werden musste.) Sie stand auf und tapste zum Fenster. Wenn sie sich auf einen Stuhl stellte und hinausschaute, was allen Kindern ausdrücklich verboten war, dann konnte sie Sylvie und ihre Freundinnen auf dem Rasen unten sehen, ihre Kleider flatterten wie Motten in der sich verdichtenden Dämmerung. Hugh stand am Gartentor und wartete, um sie zum Bahnhof zu begleiten.
    Manchmal ging Bridget mit den Kindern zum Bahnhof, wenn ihr Vater abends von der Arbeit nach Hause kam. Maurice sagte, dass er vielleicht Lokomotivführer werden würde, wenn er älter wäre, oder ein Forschungsreisender in die Antarktis wie Sir Ernest Shackleton, der gerade zu seiner großen Expedition in See stach. Oder vielleicht würde er auch einfach nur Bankbeamter wie sein Vater.
    Hugh arbeitete in London, einem Ort, in den sie hin und wieder fuhren, um einen gestelzten Nachmittag im Salon ihrer Großmutter in Hampstead zu verbringen, wo der streitsüchtige Maurice und Pamela an Sylvies Nerven »zerrten«, so dass sie auf der Rückfahrt im Zug immer schlecht gelaunt war.
    Als alle gegangen waren und ihre Stimmen in der Ferne leiser wurden, kehrte Sylvie ins Haus zurück, jetzt ein dunkler Schatten auf dem Rasen, da die schwarze Fledermaus ihre Flügel entfaltete. Unbemerkt von Sylvie trottete ein Fuchs zielgerichtet in ihren Fußabdrücken, bevor er abbog und zwischen den Sträuchern verschwand.

    »Hörst du was?«, fragte Sylvie. Sie saß von Kissen gestützt im Bett und las einen frühen Forster. »Das Baby vielleicht?«
    Hugh legte den Kopf schief. Einen Augenblick lang erinnerte er Sylvie an Bosun.
    »Nein«, sagte er.
    Normalerweise schlief das Baby die Nacht durch. Es war ein Engel. Aber nicht im Himmel. Glücklicherweise.
    »Der Pflegeleichteste bislang«, sagte Hugh.
    »Ja, ich glaube, wir sollten ihn behalten.«
    »Er sieht mir nicht ähnlich«, sagte Hugh.
    »Nein«, stimmte sie ihm freundlich zu. »Er sieht überhaupt nicht aus wie du.«
    Hugh lachte und küsste sie liebevoll. Dann sagte er: »Gute Nacht, ich mache mein Licht aus.«
    »Ich lese noch ein Weilchen.«

    An einem heißen Nachmittag ein paar Tage später zogen sie los, um zuzusehen, wie die Ernte eingebracht wurde.
    Sylvie und Bridget gingen mit den Mädchen über die Felder, Sylvie trug das Baby in einem Schultertuch, das Bridget um Sylvies Oberkörper geschlungen und verknotet hatte. »Wie eine irische Bäuerin«, sagte Hugh amüsiert. Es war Samstag, und er lag, befreit aus den düsteren, beengten Räumen des Bankwesens, auf der Rattanliege auf der Terrasse hinter dem Haus und hielt den Wisden Cricketers’ Almanack, die Bibel des Krickets, in den Händen, als wäre es ein Gesangbuch.
    Maurice war nach dem Frühstück verschwunden. Er war ein neun Jahre alter Junge und durfte gehen, wohin immer er wollte, mit wem immer er wollte, obwohl er dazu neigte, sich in der exklusiven Gesellschaft anderer neunjähriger Jungen aufzuhalten. Sylvie hatte

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