Die Unvollendete: Roman (German Edition)
gut angekommen war. Wie komisch es wäre, wenn das Hotel von einer Bombe getroffen würde und niemand wüsste, wer sie waren und was sie hier taten, gemeinsam in einem Bett, das zu ihrem Grab geworden wäre. Seit dem Einsatz in der Argyll Road war sie sehr morbide geworden. Er hatte sie auf andere Weise beeinflusst als frühere Einsätze. Was sollte auf ihrem Grabstein stehen, fragte sie sich. »Ursula Beresford Todd, standhaft bis zum Schluss.«
»Wissen Sie, was Ihr Problem ist, Miss Todd?«, sagte Fred Smith und drückte seine Zigarette aus. Er nahm ihre Hand und küsste die Handfläche, und sie dachte, halte diesen Augenblick fest, denn er ist schön, und sagte: »Nein, was ist mein Problem?«, doch sie erfuhr es nie, denn in diesem Moment begannen die Sirenen zu heulen, und er sagte: »Scheiße, Scheiße, Scheiße, ich habe Dienst«, und zog sich rasch an, küsste sie flüchtig und stürzte aus dem Zimmer. Sie sah ihn nie wieder.
Sie las den Bericht über die innere Sicherheit während der frühen Stunden des 11. Mai –
Zeit der Erstellung – 00.45. Form der Erstellung – Fernschreiber. Ein- oder ausgehend – ein. Betreff – South West India Dock Office, zerstört durch Sprenggranate. Und Westminster Abbey, das Parlament, De Gaulles Hauptquartier, die Münze, die Gerichte. St. Clement Danes hatte sie selbst gesehen – lodernd wie ein monströses Feuer an der Strand. Und all die gewöhnlichen Menschen, die ihr kostbares gewöhnliches Leben in Bermondsey, Islington, Southwark lebten. Die Liste nahm kein Ende. Sie wurde von Miss Fawcett unterbrochen, die sagte: »Eine Nachricht für Sie, Miss Todd«, und ihr einen Zettel reichte.
Ein Mädchen, das sie kannte, das wiederum ein Mädchen bei der Feuerwehr kannte, hatte ihr eine Kopie des Feuerwehrberichts geschickt und eine Notiz hinzugefügt: »Er war ein Freund von Ihnen, glaube ich. Es tut mir leid …«
Frederick Smith, Feuerwehrmann, bei einem Löscheinsatz in Earl’s Court von einer einstürzenden Mauer erschlagen.
Verdammter Idiot, dachte Ursula. Verdammter, verdammter Idiot.
November 1943
E s war Maurice, von dem sie es erfuhr. Seine Ankunft fiel mit der des Teewagens mit dem zweiten Frühstück zusammen. »Kann ich dich kurz sprechen?«, sagte er.
»Möchtest du Tee?«, fragte sie und stand von ihrem Schreibtisch auf. »Wir können bestimmt eine Tasse erübrigen, obwohl er mit Sicherheit nicht an den Orange Pekoe oder den Darjeeling heranreicht, der in deinem Büro serviert wird. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass unsere Biskuits mit den euren konkurrieren können.« Die Dame mit dem Teewagen blieb stehen, unbeeindruckt von diesem Wortwechsel mit einem Eindringling aus den höheren Regionen.
»Nein, keinen Tee, danke«, sagte er erstaunlich höflich und niedergeschlagen.
Ihr ging durch den Sinn, dass in Maurice nahezu ständig unterdrückte Wut schwelte (was für ein eigenartiger Zustand, um sein Leben darin zu verbringen), in gewisser Weise erinnerte er sie an Hitler (sie hatte gehört, dass Maurice Sekretärinnen zur Schnecke machte. »Der Vergleich ist nicht fair!«, sagte Pamela. »Aber ich muss darüber lachen«).
Maurice hatte sich nie die Hände schmutzig gemacht. Er war nie bei einem Einsatz gewesen, hatte nie einen Menschen wie ein Knallbonbon auseinandergezogen oder auf einem verfilzten Bündel aus Stoff und Fleisch gekniet, das einmal ein Baby gewesen war.
Was wollte er hier, wollte er ihr wieder einen hochtrabenden Vortrag über ihr Liebesleben halten? Es wäre ihr nicht in den Sinn gekommen, dass er hier war, um »Es tut mir leid, dass ich dir das mitteilen muss« zu sagen (als handelte es sich um eine offizielle Ankündigung), »aber Ted wurde leider erwischt«.
»Was?« Sie verstand ihn nicht. Erwischt wobei? »Ich weiß nicht, was du meinst, Maurice.«
»Ted«, sagte er. »Teds Flugzeug wurde abgeschossen.«
Teddy war in Sicherheit gewesen. Er hatte keine Einsätze mehr fliegen müssen und in einem Ausbildungslager unterrichtet. Er war Staffelführer mit einem Verdienstorden (Ursula, Nancy und Sylvie waren im Palast gewesen und vor Stolz geplatzt). Und dann hatte er darum gebeten, wieder eingesetzt zu werden. (»Ich hatte einfach das Gefühl, dass ich das tun muss.«) Das Mädchen, das sie im Luftfahrtministerium kannte – Anne –, hatte ihr erzählt, dass nur eine von vierzig Flugzeugmannschaften die zweite Einsatzrunde überlebte.
»Ursula?«, sagte Maurice. »Hast du verstanden, was ich gesagt habe?
Weitere Kostenlose Bücher