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Die Unvollendete: Roman (German Edition)

Die Unvollendete: Roman (German Edition)

Titel: Die Unvollendete: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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unfeine Wort hatte sie fürchterlich erschüttert. Sie war gewohnt, es an Einsatzorten zu hören, es war wesentlicher Bestandteil des Vokabulars der Rettungstrupps, aber nicht in Zusammenhang mit ihr selbst. Sie übte das Wort vor dem Badezimmerspiegel, aber sie schämte sich dabei.

    »Woher um alles in der Welt hast du das?«, fragte er.
    Ursula hatte ihn nie so entgeistert gesehen. Crighton wog das goldene Zigarettenetui in der Hand. »Ich dachte, ich hätte es für immer verloren.«
    »Willst du das wirklich wissen?«
    »Ja, natürlich«, sagte Crighton. »Warum so geheimnisvoll?«
    »Sagt dir der Name Renee Miller irgendwas?«
    Er runzelte die Stirn, überlegte und schüttelte dann den Kopf. »Nein. Sollte er?«
    »Du hast sie wahrscheinlich für Sex bezahlt. Oder sie zum Abendessen eingeladen. Oder einfach irgendwas mit ihr unternommen.«
    »Ach, die Renee Miller.« Er lachte. Nach kurzem Schweigen fuhr er fort: »Nein, wirklich, der Name sagt mir überhaupt nichts. Und außerdem glaube ich nicht, dass ich jemals eine Frau für Sex bezahlt habe.«
    »Du bist in der Marine«, sagte sie.
    »Aber auch wieder nicht so lange. Jedenfalls danke«, sagte er, »das Etui bedeutet mir viel, wie du weißt. Mein Vater –«
    »Hat es dir nach Jütland geschenkt, ich weiß.«
    »Langweile ich dich?«
    »Nein. Sollen wir irgendwohin gehen? Die Unterkunft? Sollen wir ficken? «
    Er lachte laut heraus. »Wenn du willst.«
    An »Höflichkeiten« liege ihm dieser Tage weniger, sagte Crighton. Unter die Höflichkeiten schienen auch Moira und die Mädchen zu fallen, und bald nahmen sie ihre heimliche Affäre wieder auf. Er war so anders als Ralph, dass sie kaum das Gefühl hatte, ihm untreu zu sein. (»Was für ein hinreißendes Argument!«, sagte Millie.) Außerdem sah sie Ralph kaum mehr, die Liebe schien bei beiden gleichermaßen abzuflauen.

    Teddy las die Worte auf dem Ehrenmal. » Den glorreichen Toten. Findest du, dass sie das sind? Glorreich?«, fragte er.
    »Jedenfalls sind sie tot«, sagte Ursula. »Das Wort ›glorreich‹ soll wahrscheinlich uns ein gutes Gefühl geben.«
    »Ich glaube nicht, dass sich die Toten noch um irgendwas scheren«, sagte Teddy. »Wenn man tot ist, ist man tot. Ich glaube nicht, dass es ein Jenseits gibt. Du?«
    »Vielleicht habe ich vor dem Krieg daran geglaubt«, sagte Ursula, »als ich die vielen Leichen noch nicht gesehen hatte. Sie sehen aus wie Abfall, einfach weggeworfen.« (Sie dachte an Hugh, der gesagt hatte: »Stellt mich raus mit der Mülltonne.«) »Ich habe nicht den Eindruck, dass ihre Seelen davongeflogen sind.«
    »Wahrscheinlich werde ich für England sterben«, sagte Teddy. »Und deine Chancen stehen auch nicht schlecht. Ist das ein guter Grund?«
    »Ich glaube schon. Daddy hat gesagt, ihm wäre es lieber, wir wären am Leben und Feiglinge statt tot und Helden. Ich denke nicht, dass er es ernst gemeint hat, er selbst ist Verantwortung nie ausgewichen. Was steht auf dem Kriegerdenkmal im Dorf? Für euer Morgen haben wir unser Heute gegeben. Das macht ihr auch, ihr riskiert alles. Irgendwie scheint mir das nicht richtig.«
    Ursula dachte, dass sie lieber für Fox Corner als für »England« sterben würde. Für die Wiese und das Wäldchen und den Bach, der durch den Wald mit den Glockenblumen floss. Das war doch England, oder etwa nicht? Das gelobte Land.
    »Ich bin Patriotin«, sagte sie. »Das überrascht mich, aber ich weiß nicht, warum. Was steht auf dem Denkmal für Edith Cavell nahe der St.-Martins-Kirche?«
    »Patriotismus ist nicht genug«, sagte Teddy.
    »Glaubst du das?«, fragte sie. »Ich persönlich glaube, dass er mehr als genug ist.« Sie lachte und hakte sich bei ihm unter, als sie die Whitehall entlanggingen. Es gab viele Bombenschäden. Ursula wies Teddy auf die Einsatzzentralen des Kabinetts hin. »Ich kenne eine Frau, die dort arbeitet«, sagte sie. »Sie schläft auf einem Klappbett. Ich mag keine Bunker und Keller.«
    »Ich mache mir große Sorgen um dich«, sagte Teddy.
    »Ich mache mir Sorgen um dich. Und das Sorgenmachen nützt keinem von uns.« Sie klang wie Miss Woolf.
    Teddy (Fliegeroffizier Todd) hatte seine Ausbildung in Lincolnshire abgeschlossen, wo er Whitleys geflogen war, und würde in einer Woche nach Yorkshire versetzt, wo er das Fliegen schwerer Kampfflugzeuge, der neuen Halifaxes erlernen sollte, bevor er seine ersten richtigen Kampfeinsätze fliegen müsste.
    Nur die Hälfte aller Bombermannschaften überlebten die erste Runde von

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